El Dorado – der Goldjunge Kapitel 23

El Dorado – der Goldjunge

Fils total durchgeknallte Lesereise mit Hindernissen

Kapitel 23

 

Vendetta fand keinen Schlaf. Es war fast 6 Uhr und noch immer lag sie hellwach in ihrem eckigen Hotelbett. Draussen stürmte es und Regen prasselte gegen das Fenster. Durch die Wand hörte sie seit Stunden wie sich eine Frau nebenan in Fils Zimmer scheinbar endlos übergab.

Wieder und wieder musste Vendetta an Kürten und seinen auseinanderklappenden Schädel denken. Sowie sie die Augen schloss war er da. War das wirklich geschehn ?

Um sich abzulenken rekapitulierte sie noch einmal die Ereignisse der Lesung gestern.

Fil war nicht gut drauf gewesen,aber

Es waren viele Leute gekommen: an die 200.

„Jimmy und ich“, hatte Fil gelesen,“ Jimmy und ich – wir waren die golden Boys gewesen. Golden,golden wie der Roggenfänger Holden. Aber, Jimmy,du warst so nah an der Kante gebaut, so nah. Zu nah für mich, zu nah um´s zu erkennen, Schätzchen. Am Ende sehen wir nicht,was vor unserer Nase ist, Baby. Die Kante war die Kür damals in den Achtziger Jahren und so kam es, dass Jimmy Gott wurde. Er wurde Gott und blieb mein Freund. Gott war mein Freund, aber ich konnt´s nicht sehn – es war zu nah. Ich wollte Abstand, Baby, Weite. Weite hab ich gesucht. Bang! War ich weg.Zu nah, zu echt, zu tief – du weißt doch, dass du mich immer Gambler genannt hattest. Oh,der war ich: der Gambler. Und mein Einsatz: Freundschaft. Alles auf Grau, faites vos jeu. Game over.Jimmy sah ich fortan nur noch auf Magazincovern. Schien ihm gut zu gehen da draussen. Da oben bei den anderen Göttern. Kann ein Loch sich selber füllen? Sind Träume Lügen wenn sie nicht wahr werden?“

Mit einem lauten Knallen wurden da auf einmal die schweren Saaltüren aufgestossen. Alle zuckten zusammen und drehten sich nach hinten um. Auch Fil blinzelte vom Scheinwerferlicht geblendet in die Richtung des Geräuschs.

Bambino stand da.

„Du hast mich Verräter genannt!“ rief er und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Fil. Dann stieg er mit grossen Schritten die breite Treppe die in den Saal führte hinunter.

„Niemand nennt Bambino einen Verräter!“brüllte er dabei.

Das Publikum tuschelte. Hühnerhaft drehten sie ihre gereckten Hälse in Bambinos Richtung,dann in Fils und wieder zurück.

„Hattest du nicht gemeint, dass du heut Abend n Auftritt hast?“ fragte Fil und griff nach seinem Wasserglas ohne die Augen von Bambino zu nehmen. Er griff daneben und fegte das Glas vom Tisch. Mit vorwurfsvollem Klirren zersprang es auf dem Boden.

„Niemand redet so mit mir!“brüllte Bambino. Er war jetzt unten angekommen und stand zwischen den Stuhlreihen. Er fasste einen Stuhl auf dem keiner sass bei der Lehne und schmetterte ihn mit solcher Kraft gegen die Wand, dass der Plastikaufsatz sich von den Metallfüssen löste. Eine Frau schrie auf. Alle andern schienen jetzt wie schockgefroren.

Bambino lief mit diesen grossen knallenden hallenden Schritten zur Bühne wo Fil von seinem Stuhl aufsprang,wobei der Stuhl hinter ihm umkippte, was Fil irgendwie dazu veranlasste ebenfalls hintenüber zu fallen. Er rollte über den liegenden Stuhl, so dass seine Beine in die Höhe schnellten und sich einer seiner schnürsnkellosen Schuhe vom Fuss löste,der in hohem Bogen ins Publikum flog. Er traf einen bärtigen jungen Mann mit Dutt an der Schläfe.

„Niemand redet so mit mir!“ brüllte Bambino,“ Nicht in mein Angesicht! Nicht in mein Angesicht!“

„Hilfe.“ flüsterte Fil als Bambino mit einem einzigen Schritt die 5 Stufen zur Bühne nahm.

Jetzt stand er vor dem am Boden liegendem Fil. Er drehte sich zum Publikum.

„Hinter meinem Rücken da lästert ihr alle über mich, glaubt nicht, dass ich das nicht weiss. Ihr alle!“ er liess seinen ausgestreckten Zeigefinger langsam von links nach rechts und wieder zurück wandern. Der Bärtige Duttboy hörte auf, seine Schläfe zu reiben.

„Neid hab ich immer gedacht. Neid. Misgunst. Ein Junge kommt nach oben, ein Junge schaffts, da zerreissen sie sich die Mäuler. Damit konnt ich leben. Solange es mir keiner ins Angesicht sagt hat´s mich nicht gekratzt. Und jetzt kommst du…“ er drehte sich zu Fil um, „Und nennst mich einen Verräter!“

„Ach vergiss das doch“, sagte Fil,“Du, ich war echt im Stress wegen der Lesetour, die läuft irgendwie nicht so und wir verkaufen viel zu wenig…“

„Niemand nennt Bambino eine Verräter!“ brüllte Bambino und fügte nach einer Weile leise aber doch selbst in den hintersten Reihen noch sehr gut verständlich hinzu:“ Niemand…ausser ein Freund.“

Er ging um den Tisch herum. Fil zuckte,kniff die Augen zusammen und hielt den rechten Arm abwehrend hoch.

Bambino blieb breitbeinig vor ihm stehen und hielt ihm die Hand hin.

„Nur ein Freund hat den Mut, die Wahrheit auszusprechen. Du bist mein Freund, Fil. Mein einziger Freund.“

Langsam öffnete Fil die Augen wieder, blinzelte zu Bambino hoch und liess den Arm dann sinken. Im Saal atmeten sie aus. Dann ein. Dann wieder aus. Das hatten sie irgendwie lange nicht mehr gemacht schien´s.

Fil schaute auf Bambinos ausgestreckte Hand. Er ergriff sie. Mit einem Ruck zog Bambino ihn hoch und an seine breite Brust. Er nahm Fils Kopf in beide Hände und drückte ihm einen Kuss genau auf den Mund.

„Dieser Mann hat mir die Augen geöffnet!“ rief er zum Publikum gewandt, „Er hat als einziger die Hoden gehabt!“ hier drosch er Fil mit der flachen Hand klatschend zwischen die Beine. Fil stiess einen winselnden Laut aus und knickte zusammen wie ein Klappmesser, aber Bambino richtete ihn wieder auf.

„Hoden aus Stahl!“rief er, „ Das ist mein Freund Fil und er hat Hoden aus Stahl!“

Unten fingen einige an zu applaudieren.

„Hättest du nicht eigentlich jetztn Auftritt mit den Pfotendosen?“ fragte Fil mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Die Pfotendosen sind Geschichte. Ich bin ausgestiegen!“ rief Bambino ins Publikum.

„Yeah!“ schrie der Bärtige mit dem Dutt und warf Fils Schuh in die Höhe. Andere stimmten ein. Nun fingen alle an zu klatschen.

„Diese Suppentruppe war doch schon seit Jahrzehnten nur noch die mieseste Verarsche aller Zeiten! Ich hab denen das Micro vor die Füsse geknallt! Das war kein Punk mehr!“

Der Saal tobte.

Bambino griff sich Fils Micro und brüllte hinein:“Und wisst ihr was ich jetzt mache?!Ich tu mich wieder mit Fil zusammen! Ab heute sind wir wieder Spucke 2000!!“

Fil vergass seinen Sackschmerz und starrte Bambino ungläubig an.

„Bist du sicher?“ fragte er.

„Vorrausgesetzt du bist dabei!“ rief Bambino ins Mikrofon und hielt es dann Fil hin. Der Saal wurde ruhig, bis auf einzelne „Machs! „ und „Spucke2000!“ Rufe.

„Ob ich dabei bin?“rief Fil ins Micro,“ Scheisst der Papst in seinen Hut?! Auf jeden Fall bin ich dabei!! Spucke 2000!!!“

Bambino umarmte Fil, der das Micro auf den Boden schmetterte was ein übles Feedback verursachte, das aber im allgemeinen Jubel unterging.

„So geil, dann müssen wir nur noch Milbe fragen ob er auch wieder mitmacht!“ lachte Fil.

„Milbe ist doch tot.“ sagte Bambino.

„Ach stimmt,das hattest du erwähnt. Kennst du denn noch´n guten Drummer?“

„Dutzende! Ich kenn NUR Drummer,ey !!“

„Wie geil ! Spucke2000!!!“

„Spucke2000!!!“ schrie der Saal. Alle waren aufgestanden und warfen nun mit den Stühlen herum. Es war wie London 1977. Da kam Fil eine Idee.

Er hob das Micro wieder auf und rief hinein: „Wartet mal Leute, wenn ihr wollt dass wir uns wieder zusammentun, dann müsst ihr auch was für uns machen!“

„Was denn?!“

„Alles!!“

„Spucke2000!“

„Sag´s uns, Alter!“

„Beendet den Zwist mit Köln!“

Fil wusste gar nicht, wie er darauf gekommen war, aber es schien ihm jetzt zwingend.Der ewige alte Knaatsch zwischen Düsseldorf und Köln musste weg und das hier war die Gelegenheit.

Die Leute schienen erst nicht zu verstehn.

„Scheel Sig!“ rief einer.

„Nein, Schluss damit!“ rief Bambino. „Fil hat recht!Schluss mit dem Scheiss,ey! Die Köllner sind unsere Brüder und Brüder…“hier küsste er Fil wieder, diesmal auf die stopplige Backe,“…gehören zusammen!Los, wir gehen jetzt alle rüber nach Köln und feiern mit denen! Und haben ´ne superjeile Zick!! Spucke2000!!!“

„Warum nicht!“ rief der Bärtige und einer nach dem andern stimmte ein.

„Kölle!!“ riefen sie.

„Dom!!“

„Superjeile Zick!!“

Und dann hatten sie Fil und Bambino aus dem Saal getragen. Wie zwei Prinzen hatten die beiden da oben gesessen auf der schreienden Menschenwurst und sich gegenseitig ins Gesicht gespuckt – anscheinend eine Art Punkergruss.

Vendetta war zurückgeblieben, sie war kein Massenmensch.

„Fegt mal jemand die Scherben von der Bühne?“ hatte der Mann hinter der Bar gefragt.

„Gib mir´n Handfeger, dann mach ich´s. „ hatte sie geantwortet.

Danach hatte sie was Leichtes gegessen und war auf ihr Zimmer im Hotel gegangen. Aber sie hatte einfach keine Ruhe gefunden. Irgendwann spät war Fil eingetrudelt mit dieser magenschwachen Frau. Und die ganze Zeit der Sturm draussen und der Regen.

Wenn man genau hinhörte ergaben sich alle möglichen Rhytmen und Melodien aus diesem ständigen Regengeprassel.

Vielleicht war so in vorgeschichtlicher Zeit die Musik entstanden. Einige Wissenschaftler vermuteten wohl, die Frühmenschen hätten sich was bei den Vögeln abgekuckt, aber vielleicht hatten sie auch nur dem Regen gelauscht. Dem Monsum. Es war Musik. Einige Tropfen trafen besonders laut auf die Fensterscheibe, das klang wie ein Solo. Wirklich genauso, es war erstaunlich. Wieso waren übrigens einigeTropfen lauter, wie konnte das sein? Vielleicht trafen sie auf eine Art Blech oder etwas anderes Verstärkendes das draussen an der Scheibe angebracht war. Und das ergab diesen verblüffenden Effekt – es klang wie Jazz. Wie treibender frei pulsender jazz, wie Ginger Baker, den Vendetta liebte. Nicht seinen Hippieschrott mit Cream, sondern seine freieren Sachen.

Ob es schon hell war draussen? Bei dem Regen sicher noch nicht. Trotzdem konnte sie jetzt genausogut aufstehn. In einer Stunde würde es Frühstück geben. Sie stöhnte, rollte aus dem Bett, ging zum Fenster und zog das Rollo hoch.

Draussen vor dem Fenster hockte Kürten und grinste sie an. Mit einer Hand hielt er sich am Fenstersims fest,mit der anderen klopfte er rhytmisch an die Scheibe.

„Wirst du es tun?“, rief er und klopfte schneller, „Kannst du es?!Morden?“

Vendetta fluchte, trat einen Schritt zurück und sah sich im Raum nach etwas Waffenähnlichen um – sie brauchte so was wie einen Baseballschläger falls dieses Monstrum hier eindringen würde.

Die Fernbedienung ? Nein. Die Kleiderhaken waren zwar aus Holz, aber sie sahen nicht stabil genug aus.

„Mir haben sie es immer alle so einfach gemacht!“ Rief Kürten durch den Regen, „ Immer haben sie stillgehalten,alle! Hunde, Rindviecher, Menschen – wenn einer kommt, der weiss was er will dann machen sie nichts mehr! Lassen sich ficken und würgen! Aussaugen! Hinschlachten! Dem Stärkeren beugen sie sich, sie lassen sich häuten und auffressen! Da ist ein Ruf und wer den hört, der kann nicht widerstehn! Sie nicht und ich auch nicht! So ein starker Ruf! Ein Blutruf ! Blutruf!!“

Die Schublade.Schweres dunkles Holz. Vendetta zog sie raus und schlug sie zweimal gegen den Bettfuss bis der Sperrholzboden rausbrach. Sie stellte sich drauf und brach die Seitenteile ebenfalls ab. Dann fasste sie mit rechts in den Griff der Fronsteite und hatte nun eine Art rechteckigen Schlagring. Mit links griff sie das eine Ende. Sie würde ihm das Teil mit beiden Händen seitlich in die Schläfe dreschen wenn er reinkäme.

Aber Kürten machte keine Anstalten, die Scheibe einzudrücken. Er starrte sie nur an. Wieder sanken seine Augen in die Höhlen und sein Kopf wurde zum dunkelbraunen Totenschädel. Der Riss in der Mitte erschien.

„Blutruf. Wat wusste Juste? Hat se watt jewusst? Warum konnten die Jungen nicht schwimmen? Nicht mal wie Hunde, nicht mal paddeln konnten sie. Und jetzt hab ich den Kopf verloren!“

Der Riss wurde tiefer.

„Believe it or not!“ schrie Kürten mit dieser irren Mickymausstimme und sein Schädel explodierte in einem Feuerwerk. Rote und Gelbe Sterne knallten degen die Fensterscheibe und verglühten dort. Vendetta schrie auf. Kürtens kopfloser Körper liess das Fenstersims los, winkte ihr mit seinen dürren Leichenfingern zu und fiel dann wie in Zeitlupe hinab. Ihr Zimmer war im vierten Stock. Vendetta öffnete mit das Fenster und sah wie der Körper unten aufschlug. Der auf ihn einprasselnde Regen schien ihn aufzuweichen. Schlammig wurde der Körper, dann immer flüssiger. Bald war dort unten nur noch eine grosse dunkle Pfütze zu sehn, die sich mit dem Wasser am Boden mischte.

„Und das fliesst jetzt ins Grundwasser.“dachte Vendetta, ging zur Minibar und holte sich eine Tüte Nüsse.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>