Kapitel 1
Diesen Freitag in den Kammerspielen Klein Machnows : Fil – der frischgebackene rororo – Autor liest aus seinem Roman. So könnte auch wieder ein rororoman beginnen, fand Fil.
Klein Machnow.
Warum musste es ausgerechnet Klein Machnow sein?
Aber Lucy von Rowohlt war da ganz klar und deutlich gewesen : ” Wir müssen Bücher verkaufen ” , hatte sie gesagt, ” Bücher, Fil. Und Bücher verkauft man heutzutage nur noch bei Amazon oder im Speckgürtel.”
Speckgürtel.
Warum musste es ausgerechnet der Speckgürtel sein?
Fil stöhnte.
” Noch nicht ! Warte! ” rief Lucy.
Stimmt ja, sie fickten ja gerade. Auch das noch. Warum musste es so sein?
Lucy.
Auf der Marburger Buchmesse war sie ihm gleich aufgefallen: langbeinig, rauchend, neurotisch. Mandelförmige Augen. Sekt hatte Fil noch nie vertragen, Ruhm machte ihn liebesbedürftig, ausser ihr waren keine heterosexuellen Frauen dagewesen, die deutsche Verlagsszene hatte sich als testosterongeschwängerte Männer und Lesbenmischpoke erwiesen und so hatte eins zum andern geführt.
” Aber Klein Machnow ? ” fragte er verzweifelt.
” Ja. ” sagte Lucy. Stimmt ja, sie fickten ja immer noch.
Ficken war kein gutes Wort. Als Schriftsteller sollte er doch in der Lage sein es zu ersetzen.
Schriftsteller.
Für Fil war diese Bezeichnung immer noch ungewohnt und er zuckte zusammen wenn jemand ihn so nannte. Sogar wenn er nur dran dachte zuckte er schon zusammen.
” Noch nicht! ” rief Lucy, ” Warte! ”
Lucy.
Viel Text hatte sie nicht. Ja, nein, Klein Machnow, warte.
Darum war sie wohl auch selbst keine Schriftstellerin sondern … was war Lucy eigentlich?
Lauter Fragen.
Morgenrot durchs Hotelzimmerfenster. Fil hörte Eselgeschrei. Marburg erwachte. Diese Stadt schien dahinzufliessen wie ein freundlicher Orkan. Die erwachenden Menschen nahmen ihr Diessein dass sie in der Nacht freimütig den Wahnsinnsmächten Orpheuses anvertraut, mit einem Selbstverständnis auf das Fil erschaudern machte.
” Warte noch!”
Fil hatte sein Leben lang gewartet. Er wollte nicht mehr. Das war jetzt seine Zeit. Sein Moment. Und wenn er verglühen würde mit seinem Buch aus Wachs, dann würde es ein süsses Verglühen sein.
Von draussen hörte er leise den Gesang der Salmonellen.
” Klein Machnow ” schienen sie zu singen.
Also gut. Süsses Verglühn im Speckgürtel. Mit einem Fud Würde konnte das gelingen. Klein Machnow war ja die nette Schwester von Scheiss Machnow. Buschido lebte da. The Writer meets the Fighter dachte Fil und schmunzelte.
Der Sex mit Lucy dauerte noch sehr lange und war von Höhepunkten durchsogen wie ein nasses WG -Geschirrhandtuch aus den 80er Jahren.
Kapitel 2 “
” KLEIN DACHAU?!? ” rief Fil verzweifelt.
” Du, das hatten wir doch alles schon längst besprochen”, wunderte sich Lucy und strich ihren Seidenstrumpf glatt.
” Klein MACHNOW hattest du gesagt, nicht Klein Dachau! “
” Ja, das ist mir schon ein paarmal bei dir aufgefallen, ” sagte Lucy ihr Bein begutachtend, ” Du hörst schwer. Süss. Literarisch.”
” Ich störe überhaupt nicht sehr und ich weiss doch, was wir abgemacht hatten. ”
Fil hob den den Fernseher vom Tischlein und warf ihn durch die Fensterscheibe.
” Genau, der Streifen muss hinten sein”, murmelte Lucy und fing an, ihren Seidenstrumpf zu drehen. Fil wurde schwindelig. . Unten knallte das Gerät aufs Pflaster. Einfache Menschen, die in dieser gewissen Zeit zwischen Nochnicht und Dochschon ihren Besorgungen nachgingen zuckten zusammen.
Fil war verzweifelt. er hatte sich so auf Klein Machnow gefreut, im Internet recherchiert über den Ritter von Hake – eine schillernde Figur, dessen drei Haken noch heute das K.M. N. – Wappen zierten, über die Schleuse, die historische Schleuse. Er hatte sich so gut vorbereitet und jetzt war das alles für die Katz?
” Klein Dachau ist doch nur deine erste Station.” versuchte Lucy ihn zu beruhigen. Bis auf den hoffnungslos verdrehten Seidenstrumpf und eine Gitanes Mademoiselles im spöttischen Mundwinkel war sie nackt,” Danach gehts nach Dresden und Weimar. “
” Zum Tresen mit Frau Beimar ? ” wunderte sich Fil. Er versuchte, etwas gutes daran zu finden. Das war wichtig. Positiving. Wenn er ein Profi sein wollte musste er als erstes auch ein Posi sein. Und er musste was wegstecken können.
” Hast du auch ne Kippe für mich? ” fragte er.
” Wusste gar nicht, dass du rauchst. ” sagte Lucy. Ihre Brüste waren verschieden lang. Und das eine Bein war nackt, das andere aber bestrumpft. Fil hielt sich an der Minibar fest und fixierte die Deckenlampe.
” Steck das weg, ” sagte er sich innerlich selbst. Langsam liess das Schwindelgefühl nach.
Lucy betrachtete zufrieden diesen Mann. Sicher, noch war er ein Farmboy aus Kansas mit schwarzen Sockenfusseln zwischen den Zehen, aber wenn sie mit ihm durch war, würde er das literarische Parkett von hinten aufrollen. Oh, sie würde ihn ganz nach oben bringen und dann … fast tat er ihr leid wie er da so stand, weltmännisch tat und seine gute einfache Seele dabei doch so gar nicht verleugnen konnte. Er wusste nicht, dass sie ihn nur benutzen und zum Werkzeug ihrer Rache machen würde. Sie gab ihm eine Zigarette. er steckte sie sich zwinkernd in den unersättlichen bäurischen Mund und beugte sich dann zu ihr runter. Bevor sie ihm Feuer gab nahm sie ihm die Zigarette noch mal raus,küsste ganz leicht seine dicken Lippen und steckte sie dann umgekehrt wieder hinein.
” Das Gelbe ist immer am Mund. ” sagte sie.
Fil verdrehte die Augen. Nichts war wie er sich´s vorgestellt hatte.
Kapitel 3
” Aus – gerechnet Klein Dachau – Klein Dachau verlangt ihr von mir!” sang Fil und tanzte dabei mit der Klobürste als Mikrofon nackt durch die Zimmer seiner heruntergekommenen Mietwohnung. Draussen breitete der frühe Februar ein graues Kissen über der Stadt aus – die Menschen hasteten etwas bedächtiger als im Sommer von Event zu Event. Dennoch ruhte nichts. Ruhe schien diese Stadt nur in den graublauen Nachtigalsstunden vergangener Verlorenheit zu finden und auch dann nur als Idee, als Blaupause, als gutgemeinten Vorschlag, als Perduktont. Sie war BERLIN – Mutter, Hure, Gespielin – geboren um zu werden, gegossen um zu fliessen und Generation nach Generation vertraute sich diesem Mussfluss herzoffen an.
Fil´s Türklingel schrillte.
” Ein geniales System”, dachte er, ” Klopfen würde man ja gar nicht hören hier oben im Vierten.”
Er stellte sich vor, wie sich unten jemand die Knöchel blutigklopfte während er oben nichtsahnend sang und tanzte. Darüber musste er laut lachen. Fil war heute bemerkenswert gut gelaunt. Er hatte sich mit Klein Dachau arrangiert – im Grunde war das sogar viel besser,die erste Lesung in einem richtig abgelegenem Ort zu machen und nicht gleich in K.M.N. oder so. Klein Dachau klang auch ein bischen nach Hitler und Lucy hatte ihm versichert, dass Hitler ” wieder da ” war in der Beletristik. Dann hatte sie gelacht und weil sie dabei so glücklich aussah hatte Fil mitgelacht, obwohl er Hitler nicht mochte.
Die Türklingel schrillte ein zweites Mal.
” Jaaa?” fragte Fil in die Sprechanlage und stellte sich dabei vor, wie er hier oben nackt war, der Klingler unten aber angezogen und nichtsahnend. Gerade wollte er darüber lachen, als es ihn durchzuckte: ” Der Klingler “! So könnte doch sein zweites Buch heissen ! Schnell aufschreiben! Er strich sich über die festen Pobacken auf der Suche nach Papier, Tinte und Feder als Lucy´s Stimme erklang: ” Ich bin´s. Kann ich hochkommen? “
” Weiss nicht, ob du kannst. ” lachte Fil gutgelaunt. Ja, er war ein Berliner. Wenn es jemals einen gegeben hatte dann ihn. Er drückte den Summer ( so könnte doch sein nächstes Buch heissen ! Schnell aufschreiben! ),öffnete die Tür, schlung sich einen bunt gebatikten Seidenschal um die Hüften und lauschte dann ins Treppenhaus hinein. Er mochte die Gleichförmigkeit und die nervöse Hast von Lucys kleinen Schritten. Vertraut waren die ihm geworden genauso wie das leichte Keuchen, das bereits im zweiten Stock einsetzte. Lucy war ja Raucherin und nicht mehr jung – genau wie Lauren Bacall wenn die noch leben würde.
Fils Nachbar gegenüber, der alte Joe öffnete seine Wohnungstür und starrte auf den notdürftig verhangenen Schreiber.
” Aus – gerechnet Klein Dachau! ” schmetterte Fil ihm vor die Nuss, weil nun ja eh alles egal war. Joe schloss die Tür wieder.
” Wie geht´s meinem – uff – Lieblings – hah – autoren ? ” fragte Lucy. Sie trug heute einen grauen Hosenanzug. Gar keinen Rock. Seine Enttäuschung verbergend frotzelte Fil: ” Weiss ich nicht. Aber MIR geht´s gut. Aus – gerechnet Klein – Dachau! Klein Dachau verlangt ihr von mir! “
Lucy trat ein und haute Fil, als der die Tür schloss mit der flachen Hand auf den Hintern. Einerseits mochte Fil das, andererseits mochte er das auch wieder nicht.
” Vielleicht bin ich bipolar”, dachte er ein wenig in Sorge, ” Muss endlich mal diesen Internettest machen.”
” Darf ich?” Fragend zündete Lucy sich eine Zigarette an.
” Nein. “witzelte Fil, aber der Schwung war raus. Irgendetwas stimmte hier nicht.
” Zur Sache,Schätzchen, mach keine Mätzchen”, sagte er.
Lucy fasste unter Fils Seidenrock und drehte seinen Penis nachdenklich hin und her. Fil fands wieder gut und schlecht zugleich. Die Ambivalenz nahm ihn in ihre dürren Spinnenarme und begann ihn einzuwickeln.
” Aus – gerechnet Klein Dachau ” murmelte er, aber es klang wie ” Vater unser im Himmel.”
” Ich habe eine gute Nachricht ” sagte Lucy Rauch ausstossend während sich ihre Mandelaugen verengten. Lucy war kurzsichtig, trug aber keine Brille, obwohl das total gepasst hätte und sie doch eh im Literaturbetrieb arbeitete und Fil auch noch auf Brillen stand. Zum ersten Mal fragte sich Fil,ob hier vielleicht einfach mal GAR NICHTS stimmte. War das alles nur eine Farce? Er ? Schriftsteller ? WAR er das am Ende gar nicht ??? Kalter Angstschweiss brach ihm aus. Lucy steckte einen spitzen Nagel unter Fils Vorhaut und schnippste sie weg. Dann wiederholte sie diese Prozedur.
” Also … Klein Dachau ist gestorben. ” sagte sie.
” Waaaas ? Aber…. “
” Warte mal, das ist im Grunde total gut für uns.”
” Aber wieso ? Es war doch alles schon geklärt! “
” Sie haben uns abgesagt. Du, die haben überhaupt keine Ahnung. Das sind Spiesser, die ihre Töpfe verwalten. Ulstein hat ihnen das Darmmädchen angeboten und die machen sie jetzt stattdessen. “
” Was, diese Julia ? “
” Giulia, Fil, Giulia.”
” Aber das ist doch was ganz anderes. Könnten wir nicht beide da lesen? Ich find die ja auch total nett. Sie kann doch erst ihren Darm und dann ich…? Würde das nicht sogar passen: Darm und Pullern ? “
Lucy drückte Fils Penis so fest, dass es wehtat, aber er durfte sich nichts anmerken lassen. Er musste Lucy jetzt zeigen, dass er Selbstbewustsein und Fokus hatte.
” Bitte, Lucy, kannst du nicht nochmal da anrufen? Vielleicht für weniger Geld ? Ich würds auch für das halbe Geld machen, hast du das denen schon gesagt? “
” Ich red gar nicht mehr mit denen. Vergiss Dachau. Wir haben was Besseres. “
” Was denn ? Was haben wir denn? “
“Bist du bereit dafür?”
” Jetzt sag schon.”
” Klein Schwachau.”
” Nein.”
” Warte mal. Klein Schwachau ist eine Gemeinde östlich von Klein Dachau. Zugegeben, sie ist nicht so gross, aber das ist genau unser Vorteil. In Klein Dachau haben sie jede Woche eine Veranstaltung, die Leute da sind satt und verwöhnt. In Klein Schwachau findet nur einmal im Monat was statt und das ist normalerweise was mit Country und Western – in Klein Schwachau kriegen wir die Hütte voll,das gibt gute Stimmung. Und die Presse ist auch interessiert. In den grösseren Orten kannst du da nichts reissen, aber an den Klein Schwachauer Schweinenews bin ich dran und die haben signaisiert, dass sie ne schön fette Geschichte machen würden.”
” Ach. ”
” Komm, mein Grosser, vertrau mir. Kuck mal.” Lucy drückte ihre Zigarette in Fils auf der Ablage stehendem Kellerundfahrradschlüsselschälchen aus, knöpfte ihre Hose auf und zog sie sich ungelenk aus. Drunter trug sie eine glänzende Strumpfhose – ohne Schlüpfer, genauso wie dieses Kleidungsstück eigentlich gedacht war. Lucy hatte Stil. Sie nahm Fils Hände und legte sie auf ihren seidigen Po.
” Oh” machte Fil.
” Gefällt dir das? ” flüsterte sie in sein Ohr und biss ihn ins Läppchen.
” Ja.”
” Schau, für dich hab ich auch eine”, sagte sie, griff in ihre Handtasche und holte eine Strumpfhosenpackung raus. ” Seidenmatt” stand auf der Packung.
” Für … mich ? ” Fil schwirrte der Kopf. Seidenmatt ? “Fussleisten lackieren” dachte Fil, “Ich muss noch die Fussleisten lackieren.”
” Probier sie doch mal an.”, sagte Lucy und riss die Packung auf.
” Wieso ? Hä ? Wieso soll ich…? Was denkst du denn…?!”
” Schsch ” machte Lucy, entfalltete die Strumpfhose und kniete sich vor Fil hin um sie ihm anzuziehn.
” Hoffentlich denkt sie nicht, ich wär schwul ” schoss es Fil durch den Kopf, während er ein Bein nach dem anderen hob.
” Bist du sicher, dass das vorne ist? ” fragte er. Es fühlte sich falsch an. Eng. Aber auch seidig und vielleicht war das hier einer von diesen berühmten Momenten, wo Sterbende auf dem Sterbebett bereuen, dass sie das nicht gemacht haben. Oder so.
” Komm”, sagte Lucy, als sie fertig war. Sie nahm in bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Fil vermied es in den Spiegel zu sehn.
” Komm”, sagte Lucy nochmal, liess sich aufs Bett fallen und zog Fil zu sich herunter. Durch die ungewohnte Seidigkeit seiner Beine spürte er nun die ihre. Er fühlte sich Lucy so nahe als wären sie ein und dieselbe Person.
” So fühlt sich wohl ein Würstchen ” scherzte er noch heiser um nicht völlig die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Lucy biss ihn in den Hals.
Von gegenüber beobachtete der alte Joe die Sache durch Fils vorhangloses Fenster. Er seufzte und goss seinen Basilikum.
Joe mochte den Februar. Noch kein Frühling. Keine Verpflichtung, glücklich und erfüllt zu sein. Einkehr. Einkehr hielt man im Februar.
Kapitel 4
” Klein Schwachau ist Geschichte. Wir machen das jetzt doch nicht.” sagte Lucy.
” Waaaas ? Aber … aber… ” Fil, der auf der Matte neben ihr lag drehte ruckartig den Kopf rüber und riss die Augen auf, welche sich sofort mit Tränen füllten.
” Wir haben was viel Besseres gefunden, als diese ignoranten Schweinepriester.”
” Schawassana “, sagte die Yogalehrerin vorne, ” Die Endentspannung. Da versuchen wir, uns nicht mehr zu unterhalten. “
” Das ist jetzt wichtig”, entgegnete Lucy, richtete sich auf und zündete sich eine Zigarette an, ” Hier geht´s um die Karriere dieses jungen Mannes.”
” Ich hatte mich so auf Klein Schwachau gefreut. ” sagte Fil, und es klang weinerlicher, als ihm lieb war.
Beruhigend tätschelte Lucy die Innenseite seines Oberschenkels und aschte aufs spiegelglatte Parkett.
” Auf diese Schweinepriester ? Die verdienen dich nicht. Aber wenn du die Gegend magst – unsere neue Lokation ist ganz in der Nähe. Sie heisst Schein Schattau und ist eine Art unsichtbares Schattendorf, ein Schemendorf nennt man sowas glaub ich. Das Beste aber ist… “
” Machst du bitte die Zigarette aus während der Endentspannung? ” unterbrach sie die Yogalehrerin, die auf einmal neben ihnen stand.
” Duz mich nicht, wir sind hier nicht beim Casting, ” erwiederte Lucy ohne aufzuschauen, ” Und mein Nacken tut weh, aua, wenn du dich nicht gleich verpisst kriegste ´n Brief von meinem Anwalt. Such schon mal dein Teacherzertifikat aus der Schublade – müsste irgendwo unter den ganzen Ablehnungsschreiben staatlicher Schauspielschulen liegen – und gnade dir Gott wenn das bloss ein Einmonatskurs bei Meister Pittniplatschnu aus Goa oder Gera ist. Mein Anwalt wird das prüfen”
Die Yogalehrerin blieb noch kurz unentschlossen stehn, dann ging sie wieder nach vorne zum Altar.
Andere Yogaschülerinnen begannen gekünstelt zu hüsteln.
” Lasst euch ficken! ” rief Lucy. Fil kicherte unter Tränen. Diese Lucy. Schein Schattau also. Unsichtbares Schattendorf ? Vielleicht war das gerade gut. Man konnte ja nur nach oben kommen wenn man vorher unten gewesen war, alles machte auf einmal Sinn, dies war die Beste aller Welten.
” Also gut. ” sagte er.
Lausbübisch kniff Lucy ihm durch die Leggins in die Hoden.
” Das wird der Hammer. ” sagte sie, ” Und morgen geht´s schon los.”
Fils total verrückte ausgeflippte Lesereise mit Hindernissen,
Kapitel 5 :
In dieser Nacht kriegte Fil kein Auge zu, während Lucy neben ihm es schaffte, gleichzeitig zu schnarchen und mit ihrer Beissschiene zu knirschen. Kerzengerade lag sie neben Fil, diese Frau, die erst so kurze Zeit in seinem Leben war und doch schon so vieles durcheinandergewirbelt hatte. Durcheinander war gut. Frischer Wind. Durcheinander war die Vorstufe zu Miteinander. Hey, das war grossartig! Das musste in sein zweites Buch, schnell aufschreiben. Fil hatte immer ein fliederfarbenes Moleskin – Notizbuch und einen gespitzten Bleistift auf dem Nachttischlein zu liegen, bloss jetzt kam er nicht ran, weil Lucy vergessen hatte ihn loszuketten. Seine Arme waren auch beide schon eingeschlafen.
” Immerhin die ” dachte er innerlich kichernd. Er wollte Lucy nicht wecken, darum sang er tonlos ” durcheinander führt zu miteinander ” in sich hinein – solange, bis er es doch nicht mehr so gut fand und seine Gedanken wieder zum morgigen Tag und der bevorstehenden Lesung in Schein Schattau zurückglitten. Über Schein Schattau hatte er bei Bing nichts gefunden, auch bei Yahoo nicht – dieses Dorf musste also schon VOR dem Internet existiert haben – 1983 zum Beispiel. Hellgrau mit gelegentlichen türkisen oder rosafarbenen Farbtupfern stellte er es sich vor – die Bewohner alle Popper, Teds oder Punks in Schranks. Helmut Kohl würde da noch regieren, da könnte Fil doch in seiner Wilkommensrede beissend Bezug drauf nehmen.
Aber würden diese Hinterwäldler sein Buch überhaupt verstehen?
” Das Bernsteinzimmer! ” rief Lucy im Schlaf. Wovon sie wohl träumte? Fil sagte sich innerlich nochmal den Anfang seines Romans vor, den er auswendig kannte:
” Ja, da lag ich in der Gosse, alles verloren, game over. Die Träume ausgeträumt, Baby. Lass uns abheben, hattest du gesagt, lass uns abheben. Lass uns abheben. But what comes up must come down. Wir leben nur einmal, hattest du gesagt und nie gewusst wie recht du damit hattest. Wo warst du jetzt, Baby? WO WARST DU?!
Neon. Kaltes Neon. Die Kälte. Lass sie nicht in uns, Baby, lass es nicht zu. Ich wollte schreien. Konnte es das gewesen sein jetzt? Exit. Volles Risiko gespielt, die letzte Kurve nicht genommen. Gambler hattest du mich genannt, weisst du noch?
Aber das wars jetzt. Das letzte Saxophonsolo, Sunny. Thank you for the sunshine – bouket. Gib mir ein bischen Frieden, Rinnstein. Hey you, the Rocksteady crew, do what you do, it´s electric boogaloo. Wie recht du gehabt haben solltest. Wir waren gefangen im electric boogaloo. Wir hatten uns geküsst im electric boogaloo und von Trümmern geträumt. Dann noch die Wende. Odysseus, Baby, verstehst du? Odysseus. “
Fil hielt inne. Er spürte salzige Tränen seine Wangen hinabrinnen. Es rührte ihn immer noch. Ja, verdammt, das war echt, das war scheisse tief. Guter Stoff und wer das nicht kapierte, der konnte ihn. Dieses Buch war das ehrlichste was er je gemacht hatte. Sein Baby, Baby. Er würde alles geben morgen in Schein Schattau – volles Risiko spielen, der Gambler sein. Triumpf oder Vernichtung, was dazwischen gabs nicht. Fil erschauderte. Da klingelte der Wecker.
Fil´s total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 6 : SCHEIN SCHWACHAU – die erste Lesung.
Der Februar ist der ehrlichste Monat in Deutschland und die ehrlichste Art, ihn zu erleben ist durch das Fenster eines fahrenden Zuges. Deutschland ist kalt, karg und braun – es ist ein leises Land. Seine Kräfte wirken im Verborgenen. Alle Jubeljahre bricht der ganze Hass aus, explodiert wie ein Eiterpickel, fliesst ab und vergiftet dabei die umliegenden Länder, dann zieht sich die entladene Bosheit wieder zurück in diese Februarhügel, diese Februarfelder, diese Februarwäldchen dort hinten.
” Sind wir bald da? ” fragte Fil. Lucy, die ihm gegenübersass antwortete nicht. Über ihren I – Pod hörte sie Prince. So laut, dass sich schon verschiedene Mitreisende nonverbal echauffiert hatten. Lucy hatte davon nichts bemerkt. Sie schien eh grad wenig mitzukriegen und – sie wirkte nervös. So hatte Fil sie noch nie erlebt. Ihre Hände krampften ruhelos um ihren Buisnessrocksaum oder tippelten fahrig ans Fensterglas. Angstrengt kuckte sie raus, obwohl da draussen doch nichts war als zurückgezogene Bosheit ( siehe oben ). Fil hätte nicht gedacht, dass die erste öffentliche Lesung ihres Schützlings Lucy so mitfiebern lassen würde, er hatte sie eigentlich für abgebrühter gehalten, aber bei dieser Frau wurde man täglich überrascht.
Der Zug fuhr in einen verwüsteten Bahnhof aus ehemals roten Ziegeln mit zerbrochenen Fenstern ein. Ein paar offensichtlich verlassene Häuser standen in der Umgebung herum. Strassen oder Wege gab es nicht.
” Klein Schwachau ” stand in gotischer Schrift auf einem Schild, das moosüberwuchert mitten auf dem mit morschen Holzbohlen belegtem Bahnsteig lag.
” Endlich!” rief Lucy und sprang auf.
” Hier ? Aber … wir wollten doch gar nicht nach Klein Schwachau… hattest du nicht gesagt…? “
” Bin gleich wieder da!” stiess Lucy hervor, holte ihre Zigaretten aus der Handtasche und stürzte aus dem Zug.
” Aber wenn wir jetzt weiterfahren?Komm lass doch.”
Lucy stand schon draussen. Durchs Fenster sah Fil wie sie sich eine Zigarette anzündete und tief inhalierte. Dabei schloss sie die Augen.
” Komm wieder rein” versuchte Fil mit Händen und Gesichtsausdrücken durch die Scheibe zu sagen, aber sie hatte die Augen immer noch zu.
” Ich find das nicht gut ” signalisierte Fil.
Da setzte sich der Zug rumpelnd wieder in Bewegung.
” Nein! ” rief Fil, ” Lucy! Schaffner ! Schaffner ! “
Lucy öffnete die Augen, sah den Zug abfahren und lachte. Sie zog ihr Smartphone aus der Jackettasche.
” Schaffner ! Halt! Stop ! ” rief Fil. er war aufgesprungen, konnte aber den Blick nicht von Lucy lassen wie sie da immer kleiner wurde auf dem Bahnsteig.
Sein Handy summte.
” Lucy! ” rief er hinein.
” Immer mit der Ruhe, ich nehm den nächsten Zug. Werd rechtzeitig zur Lesung da sein. Pass du nur auf, dass du deinen Ausstieg nicht verpasst, es ist die Station nach Endhausen.”
” Kommst du auch wirklich nach?”
” Keine Sorge, Grosser. Alles wird gut. Und vergiss meinen Koffer nicht.”
Ohne Lucy war die Zugfahrt wie ein Albtraum.
” Endlich ist Ruhe”, sagte ein älterer Herr.
” Seien SIE mal lieber ruhig. ” murmelte Fil.
” WAS ?! ”
” Nichts.”
2 Stunden später ( der Zug fuhr sehr sehr langsam, das war nicht mehr die Bahn, sondern irgendeine polnische Gesellschaft ) kam Endhausen: zwei Holzhäuser an einem Abhang, der kilometertief ins Nichts zu gehen schien.
Fil packte klopfenden Herzens seinen und Lucys Koffer und stellte sich schon mal an die Tür. Als der Zug aber das nächste Mal hielt war draussen gar nichts. Nur Wiese. Kein Schild, nicht mal Bäume. einfach nur flaches Gras so weit das Auge reichte. Das konnte es doch nicht sein, oder? Da sah er in einiger Entfernung einen dicken zwergenhaften Mann stehen, der ein Pappschild über dem Kopf hielt. Darauf stand ” FIL ” – ungelenk gekrakelt und das ” L ” falschherum – dennoch schien das hier richtig zu sein. Fil stieg aus.
Fil´s total verrückte Lesereise mit Hindernissen,
Kapitel 7
Brorg erstarrte. Aus dem Zug stieg der schönste Mensch den er je gesehen hatte und kam auf ihn zu. War das – – Fil? Brorg hatte sich Städter immer grau, dürr und kränklich vorgestellt, aber dieser Mann hier wirkte wie das blühende Leben. Er hatte bernsteinfarben funkelnde Mandelaugen und lange Wimpern wie ein Mädchen. Sein Mund war voll, seine Lippen edel geschwungen und seine Nase war die eines persischen Prinzen. Nicht, dass Brorg je einen persischen Prinzen gesehen hätte oder auch nur wusste, was das überhaupt war. Je näher Fil kam um so mehr war Brorg geblendet von ihm. Dieser Körper ! Ebenmässig hochgewachsen – athletisch und zart zugleich. Und er schien von innen zu leuchten, seine Haut hatte die Spannkraft eines 14jährigen griechischen Hirtenjungen. Diese Haut musste sich unbeschreiblich samten anfühlen, Brorg wollte sie berühren. Er wollte über sie streichen, über die feinen Häärchen am Nacken,das zarte Gestrüpp in der Armbeuge wollte er anfassen und die hornigen Stellen unten am Fuss. Dieser Fremde war wie frischgefallener Schnee – Brorg wollte sich hineinwerfen.
„ Sind Sie hier um mich abzuholen? „ fragte Fil. Brorg konnte seinen Blick nicht von diesem Mund nehmen. Die Zähne darin strahlten wie Perlen und sie waren auch alle noch da.
„ Hallo? „ fragte Fil nach einer Weile.
Brorg riss sich zusammen, richtete die Augen auf das graue Gras zu seine Füssen und sagte: „ Brorg.“
„ Wie ? Verstehen Sie meine Sprache? „
„ Brorg,“ nickte Brorg und zeigte mit seiner schaufelartigen Pranke auf sich selbst, „ Brorg. „
„ Brorg? „ fragte Fil und zeigte ebenfalls auf ihn. Brorg nickte. Speichel floss aus seinen Mundwinkeln. Wie immer, aber plötzlich war ihm das unangenehm.
„ Fil“ sagte der persische Prinz und zeigte auf sich. Dann zeigte er auf die Eisenbahnschienen in die Richtung aus der sein Zug gekommen war und sagte: „ Lucy. „
Brorg schaute verwirrt und begann leise zu wimmern.
„ Lucy — weg. Aus Zug raus. Rau – chen. Spä – ter-rer Zug.“ sagte Fil.
Brorg schüttelte den Kopf.
„ Doch „, sagte Fil nickend.
Brorg schüttelte noch heftiger den Kopf, Fil nickte stärker.
„ Au! „ sagte er auf einmal und fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Nacken.
„ Brorg? „ fragte Brorg besorgt.
„ Nacken kaputt. „ zischte Fil, „Brorg Vol – ta – ren?„
Brorg verstand diesen Fil nicht. Aber er musste seinen Auftrag ausführen, sonst würde Herrmann ihn wieder schlagen.
„Aaaaaaah „ machte er darum und zeigte in Richtung Senke.
„ Da lang? „ fragte Fil, „ Brorg und Fil da lang? „
Brorg nickte.
„ Andere Leute noch da? Nicht nur Brorg dort ?“
„ Aaaaaaaaaahhnnnere.“
Brorg nahm Fils Koffer, die überhaupt nichts wogen und hüpfte auf seine übliche seitliche Art schon mal voran.
Fil folgte ihm mit gleichmässigen edlen Schritten. Oh Gott, was für lange Beine er hatte. Die wollte Brorg auch anfassen. Die Waden. Er wollte über die Waden streichen. Und dann wollte er sein Messer in die Waden stechen. Wie in zwei pralle Pampelmusen, wenn er gewusst hätte was das für Früchte waren, wollte er sein Messer stechen und es dann langsam hinten die Beine hochziehen. Er wollte den persischen Prinzen auswaiden und sich aus der weichen Haut einen Mantel machen. Und die Augäpfel wollte er lutschen wie Lichis, von denen er ebenfalls keine Ahnung hatte. Er wollte es jetzt gleich tun, aber das durfte er nicht.
„ Zuerst die Lesung „ hatte Herrmann gesagt, „ Bring ihn in einem Stück zur Senke,dass er noch lesen kann, hörst du, Brorg. Danach kannst du mit ihm machen was du willst.“
Brorg hatte sein Messer immer um die Hüften gegürtet – jetzt auch. Es fiel ihm unendlich schwer, dem Impuls zu widerstehen und den Schönen nicht gleich hier abzustechen, das rote rote Leben aus ihm herausrinnen zu lassen, er wollte es so sehr, so sehr. Aber er wusste, Herrmann würde ihn schlagen. Mit dem Eisen würde er ihn schlagen, ganz krumm und krank würde er ihn machen – so wie das letztemal , als Brorg eine ganze Kugelfressung lang nicht hatte gehen können danach. Musst dich gedulden, nur noch ein paar Stunden, dachte er bei sich.
So liefen die beiden durch das hohe Gras Richtung Schein Schattau. Und es wurde dunkel.
Fil´s total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 8
Nicht der Hellste dieser Brorg, aber ein ganz Lieber, dachte Fil, während er sein Handy beim Laufen in alle Himmelsrichtungen hielt. Keine Balken. Nirgends. Er wusste nicht, ob Lucy ihm eine Nachricht geschrieben hatte. Und er konnte ihr auch keine schreiben.
„ Brorg ! Handyempfang hier ? Handyempfang ?“
Der dicke Zwerg schüttelte den Kopf. Fil nickte.
„ Noch weit? „ fragte er dann.
Statt einer Antwort lachte Brorg und zeigte dabei einen tiefroten Schlund in dem nur noch zwei verfaulte Zähne staken.
„ Zahnarzt – kein – ? In Schein – Schattau ? Zahnarzt – kein, Brorg ?“
„ Schattau“ sagte Brorg und begann schneller zu hüpfen obwohl er die beiden schweren Koffer trug. Fil hatte Mühe, ihm zu folgen. Es war inzwischen fast dunkel und der Boden uneben. Dem Zwerg schien das nichts auszumachen, aber Fil stolperte mehr schlecht als recht. Hoffentlich kam Lucy bald. Wo sie wohl gerade steckte? In Schein Schattau würden sie ja vermutlich Empfang haben oder wenigstens Festnetz.
Sterne begannen oben am Himmel zu funkeln. Das ist eben das Gute an Brandenburg, dachte Fil: die Sterne.
Er versuchte, den grossen Wagen zu finden und den Pferdekopfnebel. Dabei rannte er direkt in Brorg hinein, der abrupt stehengeblieben war.
Der Zwerg kreischte auf, griff mit affenhafter Geschwindigkeit an seine Hüfte und zog ein Unterarmlanges Jagdmesser hervor, das er Fil vor die Nase hielt.
„ Wow. Gute Reflexe, Brorg“, lachte Fil, „ Aber keine Angst, ich tu dir nichts. „
Brorg keuchte. Dann fing er wieder an zu wimmern wie vorhin. Von seinen Augen war nur noch das Weisse zu sehn und er steckte das Messer nicht weg.
„ Fil – Brorg – nichts –tun. Nichts – tun, keine – Angst.“ sagte Fil und rieb beruhigend Brorgs Schulter.
„ Was ist hier los?! „ ertönte da plötzlich eine Stimme. Ein kahler Mann um die Sechzig mit Nickelbrille und Schnurrbart stand auf einmal vor ihnen.
„ Brorg ?! Was machst du da mit dem Messer? „fragte er drohend.
„ Mimimi… „ machte Brorg furchtsam.
„ Es ist meine Schuld“, erklärte Fil, „ Ich habe ihn erschreckt.“
„ Herr Fil? „
„ Nur Fil bitte.“
Der Schnurrbärtige grinste, schubste den völlig verängstigten Brorg zur Seite und streckte Fil eine haarige Hand hin:„ Aber nur, wenn SIE Herrmann zu mir sagen.“
„ Abgemacht! „ lachend schlug Fil ein.
„ Messer weg, Brorg! „ zischte Herrmann und Brorg gehorchte umgehend.
„ Das ist schön, Sie mal bei uns in Schein Schattau begrüssen zu können, Herr Fil. Ich habe Ihr Buch gelesen.“
„ Ich habe Ihr Buch gelesen“ - und nichts danach bedeutete entweder „ Ich habs nicht gelesen“ oder „ ich fands so richtig Scheisse „ – das hatte Fil schon kapiert, aber es wäre auch befremdlich gewesen, wenn diese Landeier hier mit seiner tosenden Grossstadtlyrik klarkommen würden.
„ Sagen Sie, Herrmann, haben Sie hier Empfang? Oder Festnetz ?“
Herrmann lachte. Etwas zu laut. Etwas zu lang.
„ Wir sind doch hier nicht in Endhausen!“ rief er dann aus und schüttelte den Kopf.
„ Oh“, sagte Fil, „ Das ist schlecht, weil ich müsste meine Begleiterin kontakten, die Frau von Rowohlt, wissen Sie? Sie kommt nachher noch mit einem späteren Zug.“
„Nein.“ sagte Herrmann.
„ Wie nein ?“
„ Hier fährt nur einmal am Tag ein Zug. Der nächste erst wieder morgen Abend.“
„ Aber das ist ja furchtbar! Können wir … können wir Lucy nicht irgendwie in Klein Schwachau abholen, sie … „
Herrmann schüttelte wieder den Kopf. Ohne zu lachen diesmal.
„ Sie wollen jetzt sicher erstmal was essen. Und dann zeig ich Ihnen die Kultursenke. Es ist hier in der Region nicht einfach, kulturmässig was auf die Beine zu stellen. Ich betreibe die Senke jetzt seit fünf Jahren gemeinsam mit meinem Bruder. Früher war das eine gewöhnliche Jauchegrube, wir haben das alles umgebaut, ganz allein, wir werden ja vom Land Brandenburg nicht gefördert.“
„ Ach. Warum denn nicht ? „
„ Schein Schattau liegt genau auf der Grenze zwischen Brandenburg und Frankenstein. Wenn Sie hier ´ne Karte hätten könnte ich s Ihnen zeigen. Genau wo der Strich ist, die Grenze, wissen Sie, genau da sind wir. Dadurch fühlt sich kein Bundesland für uns zuständig.“
„ Aber das ist ja ein Skandal“, rief Fil, dem´s eigentlich nicht so wichtig war, wie er jetzt tat, „ Da muss man doch was machen können.“
„ WAS DENN??!! „ brüllte Herrmann auf einmal und ballte die Fäuste. Sein Gesicht lief knallrot an. „ WAS SOLL MAN DENN DA MACHEN KÖNNEN???!! WAS DENN; VERFLUCHT NOCHMAL???!!! „
„ Ich …. meinte ja nur….“stotterte Fil.
Herrmann trat schnaufend Grasbüschel los. Das schien ihn zu beruhigen.
„ Lassen Sie uns nicht mehr darüber reden“, sagte er, „ Kommen Sie, hier ist die Grobe Grube, da essen wir erstmal was Kleines.
Die Grobe Grube war tatsächlich nichts weiter als - eine Grube – ein tiefes Loch vor dem sie gerade standen und das Fil noch gar nicht bemerkt hatte. Unten waren drei Plastiktische und ein halbes Dutzend Gartenstühle hingestellt worden, an denen einige Männer sassen, die schweigend eine Art Schleimbrei zu essen schienen.
Jetzt fiel Fil auf,dass hier überall Gruben waren. Aus einigen hörte er Geräusche kommen.
„ Gibt es hier denn – keine Häuser? „ entfuhr es ihm.
„ Wir sind doch nicht in Endhausen“, sagte Herrmann und schickte sich an, in die Grube hinabzusteigen.
Fils total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 9
Luger und Arn schauten von ihren tönernen Schleimschüsseln auf, als der Westler ungelenk hinter Herrmann in die G.G. hineinstolperte.
„ Na, den hat Mutti aber fein gemacht.“ murmelte Arn.
Luger antwortete nicht. Blanker Hass lähmte seine Zunge. Amerikanische Nietenhosen hatte der Westler an. Natürlich. Die Guten. Aber zu blöd um zu kapieren, dass man die auf Hüfte tragen muss. Ganz bis nach oben über den feisten Wohlstandsbauch hochgezogen hatte er das gute Stück. So einer rammelt mit Kondom, trinkt Tee aus Tassen, war nie bei der NVA und hält Heiner Müller für ein Molkeprodukt. Luger hätte wetten können, dass dieser Kunde nicht mal in der Lage war, einen Menschen zu töten. Er nahm sein Schleimmesser aus der Schüssel und rammte es ohne die Augen von dem Westler zu lassen mit aller Kraft tief hinein in den Plastetisch.
„ Aua, Pfeife!“ sagte der Tisch, denn er war gar nicht der Tisch, sondern Arns rechter Oberschenkel gewesen.
„ Mach nicht ein, Prinzessin.“ murrte Luger, zog das Messer mit beiden Händen wieder raus und wischte es an Arns kleinkariertem Pullunderärmel ab.
„ Meinste, der tanzt für uns? „ zischte Arn grinsend während er mit einem Papiertaschentuch der Marke „ Krempo“ die sprudelnde Arterie abzubinden versuchte.
„ Der polierts Parkett.Kannste glauben.“ sagte Luger.
Onkel Finster hatte ihm von Westlern erzählt. Mit ihren Merceden fuhren sie in Schaaren durch Brandenburg und Frankenstein und kauften da alle Gebäude auf. Wohnhäuser, Schulen, Kirchen – alles wurde vom Westler gekauft und dann machte er Kultursenken draus wo junge Leute zu Bimbomusik tanzten,während die Ernte draussen auf den Feldern verfaulte.
„ Darum haben wir hier in Schein Schattau keine Häuser. Hier kommt der Westler nicht hin. Und nun schlaf.“ Hatte Onkel Finster diese Geschichten immer beendet.
Aber Klein – Luger hatte nie einschlafen können. Die ganzen Nächte seiner Kindheit war er wachgelegen hatte den Grubenrand hoch zu den Sternen geschaut, bis sie ihm wie die Scheinwerfer sich nähernder Merceden erschienen und er in Panik seine Augen auf die Grenze richtete, die dort oben am Himmel zwischen den Brandenburger und den Frankensteiner Sternen verlief. Diesen schwarzen Strich am schwarzen Himmel hatte Luger seine ganze Kindheit lang nächtens fixiert und der war dabei hinein in sein Herz marschiert, so wie der schwarze Blutvergiftungsstrich, den der eine bei Michel aus Lönneberga in der einen Folge hatte, wo Michel ihn ins Krankenhaus bringt, oder ´n Arzt holt durch irgendwelche Schneewehen oder auch nicht, egal, Luger kannte Astrid Lindgren ebensowenig wie Enid Blyton oder die drei Fragezeichen. Luger kam von woanders her. Von ganz woanders.
Der Westler und Herrmann setzten an den Nachbartisch und Herrmann bestellte zweimal Würzschleim mit Grubenkraut, ein Frankensteiner und eine Bionade.
„Hunger“ sagte Luger grinsend und prostete den beiden zu.
„ Hunger“ sagte Herrmann. „ Guten Tag“ flötete der Westler.
„ Was ist mit dem? „ fragte Herrmann und zeigte auf Arn, der ohnmächtig mit dem Kopf in der Schleimschüssel lag.
„ Suff“, sagte Luger.
„ Möchten Sie vielleicht heut Abend zur Lesung kommen ?“ fragte der Westler. Lugers Hand drückte den Horngriff seines Schleimmessers so fest, dass es aus der Faust herausflutschte und haarscharf an der Nase des Westlers vorbeisegelte bevor es in der Lehne des Stuhls neben ihm stecken blieb.
„ Warten Sie, haha, ich geb Ihnen das wieder. Wolln wir uns nicht eigentlich Duzen alle ? „ Der Westler plauderte wie ein Kind, während er versuchte, das Messer aus der Lehne zu ziehen.
„ Ist ja witzig, hat sich irgendwie verkeilt. Willst DU mal versuchen, Herrmann?“
Herrmann zog das Messer raus und hielt es Luger mit der Schneide nach vorne hin.
„ Mach hier keinen Ärger, hörste“, sagte er dabei.
„ Klare Kiste“, sagte Luger.
„ Ich würd mich freuen wenn Sie kommen. Fängt um Acht an. Ich trag was vor aus meinem Roman „ Pullern im Stehn“. sagte der Westler.
„ Hab ich gelesen.“ sagte Luger, „ Na, da kommn wer mal. Das kucken wer uns mal an.“
„ Würde mich freun“, sagte der Westler mit weichen Wangen. Die dicke Helga kam mit dem Essen.
„ Hunger“ sagte Luger nochmal.
„ Hunger“ sagte der Westler. Wie Luger goldrichtig kombiniert hatte war die Bionade für ihn gewesen.
Fils total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapiteln 10
„Living is forgiving hattest du gesagt, Baby. Aber die Trümmerstadt hatte auch unsere Träume zertrümmert. Game over, basta finito. Ende es Regenbogens. Paul ist tot. Ich wollte hier verweilen in der Trauer, aber der Beat zog mich weiter. Weiter, immer weiter, schneller, greller. „Takte mich, Berlin!“ blubberte meine Lymphe, während Panzerkreuzerhafte Technobässe meine Tränen in Füssigasbest verwandelten. Berlin. Die Stadt wo sich die Herzen schwärzen. Berlin. Berlin ! Berlin !!“
Fil schaute kurz von seinem Buch auf. Die Lesung hier in der Schein Schattauer Kultursenke kam ihm skurril vor. Es war niemand gekommen. Bis auf ihn und Riga, die Technikerin war die Senke leer. Trotzdem hatte Herrmann ihn gebeten zu lesen.
„ Wenn wir das ausfallen lassen, dann haben sie gewonnen, die Betonköppe für die Kultur aus einem Frankensteiner – Grapefruit und ner Brotwurst besteht. Bitte Herr Fil, lassen Sie mich nicht hängen.“
Also las Fil. Vielleicht gefiel´s ja wenigstens der Technikerin. Sie war ein sehr junges Ding. Bleich, schwarzgekleidet, das Gesicht von Metallringen, Akne und dem pferdigsten Unterkiefer nördlich Kataloniens schwer entstellt. Noch auf der Suche nach sich selbst vermutlich, die Kleine. Fil hatte extra Passagen mit Liebe und Auflehnung rausgesucht, von denen sie was haben könnte.
„ Lass uns auf Lamas spucken, hattest du gesagt, Baby, lass uns leuchten, lass uns Augenblicke fangen. Singing in the Rain,weißt du noch? Wie konnten wir so jung gewesen sein und gleichzeitig so alt?
Der rote Hugo hängt tot im Seil,hattest du gesagt und ich hatte gedacht, du sprichst von deinen Tagen und mich noch gewundert, wie konkret auf einmal alles geworden war zwischen uns. Verloren im Konkreten,um Macheten wird gebeten. Denn das ist ein konkreter Dschungel hier, und da müssen wir uns durchschlagen. Baby.
Aber Falschlage bei mir ! Jetzt wusste ich: der rote Hugo – das waren wir alle. Und wir alle waren alle. Aus. Power faillure. Der letzte Duracellakkord verstummt. Faites vos jeux, alles auf rot. Hattest du vergessen, dass ich der Gambler war?“
Hier endete Fil, verbeugte sich und ging rüber zu Rigas Pult. „ Pro – musicequipment „ stand drauf.
„ Na, wie kam das — soundmässig ? „ fragte er.
„ Klingt anders, wenn Leute da sind“, sagte Riga und holte ihre Tabakspackung aus dem Marilyn Manson – Brustbeutel, der über ihren schweren Brüsten baumelte.
„ Sind Sie aus Endhausen?“ fragte sie dann.
„ Nein, Berlin.“
„Ah. Aber nicht von hier, hab ich mir gedacht. Kenn eigentlich alle hier in Schattau.“
„ Und – wie isses hier so ?“
„Nichts los.“
„ Aber schöne Natur,wa ?“
„Weiss ich nicht. Im Winter ists immer kalt und bei Regen wird man nass in den Gruben. “
„Berlin kann einen dafür regelrecht auffressen.“
„ Wir haben hier nicht mal Toiletten.“
„In Berlin reden viele Leute mit sich selbst am hellichten Tag auf der Strasse – und man weiss nicht:Freisprechanlage oder Verrückte ?“
„ Sie wollen die Kultursenke schliessen und ´n Baumarkt soll da rein.“
„ Bei uns werden die Mieten immer teurer, man traut sich gar nicht mehr umzuziehn.“
Fil und Riga sahen sich an.
Sie liess ihren Tabak fallen und er sein Buch und dann küssten sie sich wie wilde halbverhungerte Tiere.
„ Kennen Sie Marilyn Manson? „ flüsterte Riga Fil keuchend ins Ohr.
„ Ja, aber ich find den nicht so gut.“ hauchte Fil zurück und hob sie aufs Pult,das sofort zusammenbrach. Sie hatten guten Sex auf den zwickenden Knöpfen und Reglern.
Von oben betrachteten Luger und Arn das Ganze.
„Sag mal, ist das nicht deine Verlobte?“ fragte Luger.
Arn strich nur bleich mit zitternden Händen seinen Baseballschläger entlang.
Fils total verrückte ausgeflippte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 11
Brorg hatte den ganzen Abend damit zugebracht, seine Messer, Zangen und Teppichschneider zu schleifen und zu polieren. Man hätte es bei diesem verwahrlosten Typen nicht gedacht, aber seine Arbeitsgrube war immer tiptop aufgeräumt und sauber und alle Werkzeuge stets einsatzbereit. Nun war Brorg mit einer gut geölten Schubkarre und einer Büchse K.O.- Spray zur Grube ge – (sagt man jetzt „ gefahren“ wegen der Schubkarre ? Mit einer Schubkarre fährt man doch nicht
? Aber man geht auch nicht mit ihr, oder? Mist. Und wenn ich jetzt schreibe „ Brorg hatte sich mit einer Schubkarre zur Kultursenke „ begeben „,dann passt das wieder nicht zu seinem Charakter. „ Herr Brorg begab sich nach einem fulminanten supper stante pede zur Kultursenke und nestelt dort effekthascherisch an sein Monokel herum.“ – ach warte mal, er springt ja eh immer seitwärts, ganz vergessen vor lauter anderen Figuren) – hüpft um dort den persischen Prinzen abzuholen. Es war kalt, Brorg fror in seinem zerschissenen Wämslein, und er freute sich schon auf den weichen warmen Hautmantel, den er bald haben würde. Vielleicht würde Riga ihn auch endlich erhören wenn er erst diesen Hautmantel hatte – warum nicht? Mit einem echten neuen Hautmantel,warum sollte Riga ihn dann nicht lieben? Brorg fiel beim besten Willen kein Grund ein.
„ Fil Brorg nichts tun,nichts tun, keine Angst „ sang er leise vor sich hin. Wenn Brorg allein war konnte er gut sprechen, alle Worte gelangen ihm dann. Aber andere Menschen irritierten und entvokabulisierten ihn. Zumindest wenn sie noch atmeten.
„ Brorg“ entfuhr es ihm, als er sich der Senke näherte: Dort oben am Rand lagen Luger und Arn mit Baseballschlägern und Kettensägen ausgestattet und spähten hinab. Was wollten die denn hier? Brorg ging in Deckung und spitzte die Ohren.
„ Ich sag dir, die sägen beide“, flüsterte Luger, „ Wir können runter und uns den Clownfisch holen.“
„ Lass uns noch kurz warten“, antwortete Arn.
Unten waren Riga und Fil nach ihrem spektakulären von Höhepunkten durchsogenem langen Sex( es gibt ja auch langen Sex OHNE Höhepunkte, deswegen weise ich hier extra drauf hin hier ) auf den Trümmern des Pro – musicequipments eingeschlafen. Riga schnarchte laut. Das würde anders klingen wenn Leute da wären.
Trotzdem wollte Arn noch warten.
„ Du bist wie Blei“ flüsterte Luger.
„ Will nur auf Nummer Sicher gehen.“
„Es gibt keine Nummer Sicher. Es gibt die Nummern 1,2,3,4,5,6,7,8,9 und dann gibt es noch die Zehner. Aber es gibt keine Nummer Sicher.“
„ Weißt schon was ich meine.“
„Ja, ich weiss was du meinst: du hast Schiss. Und genau wie alle Schisser willst du,dass die ganze restliche Welt auch Schiss haben soll. Wie ´ne Seuche willst du deine Arschangst verbreiten, Angst soll der Normalzustand sein. Du hättest Politiker werden sollen, Arn.“
„ Hab keinen Schiss.“
„Oh doch. Du hast Schiss und das hält dich hier am Boden fest.“
Auf einmal klickte es in Lugers Gehirn.
“UNS ALLE hält die Angst hier fest, nicht nur dich – mich auch. Scheisse !! Auf einmal wird mir alles klar! Unsre Gruben haben wir uns selbst gegraben mit unserer Angst. Wir tarnen die Angst als Wut, Hass, Verachtung – aber am Ende bleibt es immer wieder nur nackte Angst. Und wie ein Scheissbizarrofeuer, das uns von innen kalt macht, halten wir diese Angst am Leben. Vor allem haben wir Angst. Vor der Welt da draussen, vor dem Westler.
Ich will keine Angst mehr haben,Arn,ich will nicht mehr! Ich hasse den Westler nicht. Im Gegenteil :er imponiert mir. Haaah, tut das gut, es auszusprechen! Ja, ich hab die Grösse, dass mir´n anderer Mann imponieren kann! Er macht mir keine Angst mehr, ich find ihn spitze. Kuck mal, was der da unten mit deiner Riga veranstaltet hat: DAS war ´ne Nummer, mein Alter.“
„ Red nicht davon!“
„ Warum soll ich nicht davon reden? Haste Angst? Angst vor der Wahrheit, dass dein Mädchen da eben durchgenagelt worden ist wie noch nie zuvor ? Er hats ihr besorgt, der Junge, aber richtig. Kannste glauben.“
Mit einem dumpfen Schrei riss Arn den Baseballschläger in die Höhe, aber Luger war schneller. Er wich aus, holte dabei gleichzeitig mit seinem eigenen Schläger Schwung und traf Arn an der Schläfe.
Arn knickte in sich zusammen wie ein Kartenhaus. War er tot? Egal ! Luger hatte keine Angst vor der Polente. Er hatte auf einmal überhaupt keine Angst mehr. Liebevoll betrachtete er das nackte Pärchen,dass unten auf dem Grubenboden ineinander verschlungen schlief. Liebevoll ? Ja. Ja, das war es! Jetzt wo Luger keine Angst mehr empfand konnte er auf einmal lieben! Er liebte alles. Den Westler, Riga, den still ins Gras blutenden Arn – die ganze Welt hatte auf einmal Platz in Lugers Brust ! Sogar Onkel Finster, der ihm seine ganze Kindheit verdorben hatte mit den Gruselgeschichten vom Westler und seinen Merceden,sogar den liebte er jetzt.
„ Ich vergebe dir, Onkel.“ murmelte Luger und dann rief er es in die Nacht hinein: „ Onkel Finster! ICH VERGEBE DIR!!“
Er hob den Blick. Die Sterne. Endlich konnte er sie ohne Angst betrachten. Sie waren wunderschön. Sie funkelten. Sie schienen zu pulsieren. Da waren zwei besonders Grosse, die ihm bisher nie aufgefallen waren. Waren das Frankensteiner oder Brandenburger? Hä? Sie bewegten sich! Die beiden Sterne bewegten sich und – sie wurden grösser! Sie kamen auf ihn zu, sie kamen genau auf ihn zu! Luger hörte Motorengeräusch – das – das waren die Westler!!! Die Westler kamen mit ihren Merceden!!!! Kalkweiss vor Panik gelähmt starrte Luger auf die Scheinwerfer, denn das waren sie: riesige Scheinwerfer. Sie gehörten zu einem gigantischen Gefährt, das dröhnend vom Himmel herabgeschwebt kam um dann direkt vor ihm zu landen. Eine Luke seitlich ging auf und eine silbern glitzernde Figur stieg aus. Lugers Herz hämmerte, seine Augen traten aus den Höhlen.
„ Der We…der We… „stammelte er.
Die silberne Figur kam auf ihn zu, eine Art Weltraumpistole in der Hand. Es war eine dunkelhaarige Frau in einer Ritterrüstung mit einem geschwungenem Helm auf dem Kopf.
„Que tal?“ fragte sie. Luger verstand nicht. Sie hob die Pistole, richtete sie auf Lugers Kopf und dann wurde alles weiss.
Alles ausser Heroin
Fil´s total verrückte Lesereise mit Hindernissen in 200 Kapiteln
- Kapitel 12
Die Weltraummonsterfrau hatte Luger erschossen! Mit einem grünlichen Laserstrahl, wie es doch gar keine gab! Brorg duckte sich hinter seine Schubkarre und kniff bibbernd die Augen zusammen. Da hörte er Schritte. Langsam sich nähernde Schritte. Sie kam auf ihn zu! Sie würde ihn auch töten! Aber das durfte nicht geschehn, er konnte noch nicht sterben, er hatte doch noch so viel vor! Jetzt musste die böse Frau genau vor der Schubkarre stehn, Brorg hörte keine Schritte mehr. Seine rechte Hand, die das Jagdmesser hielt hatte er hinter dem Rücken verborgen.
„ Ey, amigo“, sagte die Frau, „ Was machst du denn?“
Brorg zwinkerte. Dann öffnete er langsam die Augen. Obwohl es Nacht war blendete ihn die glänzende Rüstung die die Frau trug. Sie sah gar nicht wie ein Weltraummonster aus, eher wie ein Ritter. Sogar einen Helm hatte sie auf dem Kopf.
Karneval, schoss es Brorg da durch den Kopf, es war ja Karneval! Er lachte. Die Frau lachte mit.
„Loco.“ sagte sie.
Karneval! Das hier war einfach nur eine verkleidete Schickse aus Endhausen, die sich auf dem Weg zu ihrer Feier verfahren hatte! Was Brorg für Laserstrahlen gehalten hatte war vermutlich eine Art Pfefferspray gewesen. Die Frau hatte Angst gehabt und Luger eine Ladung verpasst.
Jetzt erst sah Brorg ihr ins Gesicht. Ja : eine Endhausenerin. Oder sogar von noch weiter weg. Ihre Züge waren ebenmässig, die Augen gross und dunkel, die Lippen voll und geschwungen – langes pechschwarzes Haar kaskadierte ihr auf die Schultern. Das hier war die schönste Frau der Welt, da gab es keinen Zweifel. Schöner als Riga. Und Brorg hatte sie ganz für sich allein!
„ Brorg! „ gurrte er, „ Brorg,Brorg.“
„No entiendo“, sagte die Frau, „ Sprichst du kein Deutsch, hombre?“
„ Ich spreche die internationale Psychopathensprache“ dachte Brorg, sagte „ Brorg“ , riss das Messer hoch und hackte nach dem Schwanenhals der Endhausenerin. Er wollte genau diese eine leicht puckernde Ader an der Seite treffen, da hinein sollte das Messer, aber die Frau wich scheinbar mühelos aus. Trotz der schweren Rüstung bewegte sie sich blitzschnell.
„Puta madre.“ sagte sie, trat Brorg so hart gegen das Kinn, dass er hintenüberkippte und griff dann nach der Hand die das Messer hielt.
Seinen Schmerz ignorierend ( das hatte er sein Leben lang mit seelischen Schmerzen trainiert ) versuchte Brorg zu stechen, zu schneiden, sie irgendwo zu erwischen, durch die Schale in das weiche Fleisch einzudringen, aber die Frau war überraschend stark. Sie hielt seine Hand fest und drehte sie in Richtung von Borgs Bauch.
„Hodor!“ rief Brorg entsetzt und liess das Messer fallen.
Die Frau sprang auf und zog eine Weltraumpistole aus ihrem Gürtelhalfter.
„Hodor ! Hodorhodorhodor! „ kreischte Brorg. Dann wurde alles weiss.
Fil erwachte fröstelnd, schob die Technikerin sanft von sich herunter, stand auf und streckte sich. Es war ein wolkenloser Tag und durch den Grubenrand erahnte man die Weite des Himmels.
„ Wer einmal diese Weite verstanden hat, kann nie mehr eng denken“ schoss es ihm durch den Kopf. Verbibbscht, das war gut, das musste er aufschreiben für sein zweites Buch! Er suchte nach Papier und Stift. Dabei wachte Riga auf.
Den nackten hektisch suchenden Fil schweigend beobachtend griff sie mit sicheren gelben Fingern in ihren Brustbeutel nach dem Tabak und begann dann zu drehen.
Dieser Typ war der Hammer. Er war wie Manson: alt. Bloss hoffentlich wollte er jetzt nicht bei ihr in Schein Schattau bleiben für alle Zeiten und Kinder kriegen, dafür fühlte sie sich noch zu jung.
„Heute fahrn Sie ja wieder? „fragte sie. Fil sah zu ihr genau in dem Moment als sie das Papier anleckte, eine Sache, die Fil immer schon als äusserst unattraktiv empfunden hatte.
„Äh…ja…, Baby…“ murmelte er, kam rüber und strich ihr über das ungewaschene Haar.
„Ich kann Sie nach Endhausen fahren, von da geht alle 4 Stunden ein Zug.“ schlug Riga vor und das gefiel Fil. Nach irritierendem Fremdsex war nichts besser als ein konkretes Vorhaben. „Verloren im Konkreten,um Macheten wird gebeten“ schoss es ihm durch den Kopf. Wahnsinn, das war schon wieder saugut. Das musste er jetzt aber unbedingt aufschreiben fürs zweite Buch.
„ Hast du´n Stift und´n Blatt Papier?“ fragte er Riga. Sie schüttelte nicht mal den Kopf. Starrte nur vor sich hin. Was war das bloss für eine verlorene Generation! Man müsste ihnen viel mehr Hilfestellung geben,diesen jungen Leuten, dachte Fil mitfühlend. Aber er musste ja leider jetzt wieder zurück. Lucy wartete auch. Lucy. Oh Gott. Er hatte Lucy betrogen!
Nachdem sie sich angezogen hatten, so gut wie das mit den dann doch ziemlich zerrissenen Klamotten eben ging kletterten unsere Helden aus der Grube raus.
Oben standen ein Polizeiauto und ein Krankenwagen und drumrum ein Dutzend Leute, die sich aufgeregt unterhielten. Einer von ihnen war Herrmann. Als er sie sah kam er zu ihnen.
„ Schade, dass Sie schon wieder gehen, Herr Fil, ich hoffe, Sie hatten einen guten Eindruck von Schein Schattau und konnten sich selbst überzeugen, dass nicht alle Klischees stimmen.“
„ Oh, ich habe sehr … interessante Aspekte dieses Örtchens ergründet.“ sagte Fil und lächelte eindeutig zweideutig zu Riga rüber, die keine Miene verzog, weshalb er schnell hinzufügte: „ Aber was ist denn hier los?“
„ Das dollste Ding.Gruber, der Verrückte von Schein Schattau hat heute morgen auf seiner Runde Luger, Arn und Brorg hier gefunden – alle drei bewusstlos und aneinandergekettet mit – und jetzt halten Sie sich fest – SILBERNEN Ketten ! „
„Silberne Ketten ? Ist das hier denn üblich?“
„Na, eben nicht, das ist ja das Dolle.Und der Arzt sagt, sie lagen schon Stunden so. Fast die ganze Nacht sagt er.“
„ Mir wird einiges klar“, rief Fil, „ DESWEGEN waren sie nicht bei der Lesung „! Herr Luger und Herr Arn hatten doch in der Kneipe zugesagt, zu kommen und mit Brorg hatte ich eigentlich auch fest gerechnet.“
„ Was wollen Sie damit sagen?“ fragte ein untersetzter Schnauzbartträger, der sich nicht als Kommissar Körner vorstellte.
„ Dass hier jemand meine Lesungen boykottiert. Jemand hindert die Leute daran, zu meinen Lesungen zu kommen. Irgendein anderer Autor. Aus Neid.“
„ Haben Sie jemand Speziellen im Verdacht ?“ fragte Körner.
„ Naja … es gibt da diesen Sänger von Blumfeld … Distelmeyer, Jochen Distelmeyer. Also … ich kenne den nicht persönlich, aber ich find´s schon irgendwie merkwürdig, dass er kurz nachdem ich mein erstes Buch geschrieben habe auf einmal ebenfalls eins schreibt. Und auch noch beim selben Verlag. Ach so, und – naja, das glaub ich eigentlich nicht, aber…. mein Kollege Ol hat ja auch jetzt ein Buch geschrieben und das könnte man auch komisch finden … ich meine, wir sind beide Comiczeichner und dann schreiben wir beide gleichzeitig Bücher.“
„Ist Ol nicht eher Karrikaturist?“ fragte Körner.
„ Weiss ich nicht, ich fühl mich auch ein bisschen ungeheuerlich, dass ich hier diesen Verdacht ausspreche, Ol und ich sind ja eigentlich befreundet, Nachbarn sogar, nur … wissen Sie , in die Seele eines Menschen kann man nicht kucken.“
„Das war ein schöner Satz. Ich wünschte, ich wäre bei ihrer Lesung gewesen gestern.“
„ Dann wären wir schon zwei gewesen.“ lachte Fil, schaute kurz zu Riga und berichtigte dann: „ Ich meine drei. Also mit der Technikerin, aber die zählt ja nicht… also… zählt natürlich und… sie… hat das gut gemacht, es… war gut, nur eben…“
„Brorg!“ rief Brorg und wollte nach Fil greifen, aber er war auf eine Krankenbahre geschnallt.
„ Hey, alter Freund,“sagte Fil und ging zu ihm, „ Mensch, wenn du uns erzählen könntest, was passiert ist.“
„ Wie schreibt man Distelmeyer?“fragte Körner.
„Mit E – Y. Aber wie gesagt, ich bin nicht sicher, dass er´s war.“ sagte Fil.
„Wir werden ihm auf jeden Fall einen Besuch abstatten. Und Ol auch.“
„ Grüssen Sie Ol mal schön von mir. Wenn das alles ist … ich muss meinen Zug kriegen.“
„ Sie können gehen. Vielleicht können uns die andern beiden Schlafmützen weiterhelfen, wenn Sie wieder bei Bewusstsein sind.Falls Sie nach Klein Schwachau müssen können Sie auch im Krankenwagen mitfahren.“
„ Oh, das wäre toll! Ich meine…“ Fil sah zu Riga, „ Ich meine, schade, aber…“
„ Fahren Sie ruhig mit“, sagte Riga, „ Ich muss eh noch zu Pro – music und das Mischpult zurückgeben.“
„Na dann … äh ….„ Fil fasste Riga an den Oberarmen und machte ein Gesicht, als ob er ihr zum bestandenen Realschulabschluss gratulieren wollte.
Sie griff in ihre Tasche und holte ein Leatherman- Universaltool heraus.
„Hier, schenk ich Ihnen. Als Andenken. Und wenn Sie wieder mal in Schattau sind melden Sie sich doch. Würd mich freuen.“
„ Wow.Und ich hab jetzt gar nichts für … Sie. „
Riga zuckte mit den Achseln.
„ Also.. und wenn Sie mal in Berlin sind, dann … ich kann das nicht mit dem „Sie“, in Berlin duzen wir uns alle… also…hey, ich weiss doch auch nicht, Mann…“
Er nahm sie in den Arm.
„ Machs gut, Gesa“ flüsterte er ihr ins Ohr.
„ Machs gut, Herrmann, Machs gut, Kommissar“ fügte er hinzu, setzte sich nach hinten in den Krankenwagen zu Brorg, der ihn mit aufgerissenen Augen fixierte und wieder nach ihm zu greifen versuchte und winkte.
Riga winkte zurück. Der Krankenwagenfahrer machte die Heckklappe zu und rumpelnd fuhren sie los.
„ Distelmeyer…“ murmelte Kommissar Körner, „ Bei dem Namen juckt mein Ohr.“
Fils total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 13
„ Und, wie ist es gelaufen?“ fragte Lucy. Kurz vor Klein Schwachau hatte Fil wieder Empfang gehabt und sie gleich angerufen. Sie hatte ihm die Adresse einer Milchbar gesmst und nachdem er sich von Brorg mit einem Küsschen auf die Wange verabschiedet hatte(manchmal machte Fil solche Sachen, er war letztendlich ja Künstler und ein kleines bisschen verrückt) trafen sie sich dort. Lucy war in Begleitung eines riesigen breitschultrigen Mannes mit zerzaustem langem Haar.Auch sie selber sah zerzaust aus, zerzaust und – irgendwie jung. Zehn Jahre jünger als sonst, wie Mitte Vierzig. Total süss sah sie aus, wie ein strubbeliges junges Pferd. Fils Herz schlug schneller als er sie so sah. Ein schlechtes Gewissen hatte er allerdings wegen der Sache mit Riga, aber das Gewissen war ein Muskel, man musste ihn trainieren.
„Ach kannste dir ja vorstellen wie´s war“, sagte er mit zitternder Beiläufigkeit im Stimmchen,„Nicht viel los. Sie hatten da diese Technikerin, das fand ich noch ganz interessant, dass sie nun in so´m Nest ´ne Frau an der Techne haben, würde man ja eher denken ´n Mann, und dabei war´s noch ´ne JUNGE Frau, irgendwie Grufti oder so, weiss gar nicht, Gruft-Metal, gibt´s sowas? Sehr lange macht die das glaub ich noch nicht, war vielleicht auch nur Vertretung, aber hat sie okay hingekriegt, also nicht übermässig gut, aber – ach naja, ich weiss gar nicht, ob der das überhaupt gefallen hat mein Buch und so, wahrscheinlich fand sie mich zu alt, so junge Frauen denken ja meistens Iiiih, voll der alte Sack, haha, aber sie wär mir jetzt auch theoretisch zu jung gewesen, ich find – unabhängig von uns jetzt, überhaupt find ich das, also generell – irgendwann biste an so´m Punkt, wo du junge Frauen gar nicht mehr wahrnimmst, oder anders wahrnimmst. Du kuckst denen so auf die Leggins, aber denkst nicht geil, sondern nur noch Mann, Mann, Mann, wenn meine Tochter so rumlaufen würde. Dieses durchsichtige, das hat find ich so gar keinen Stil. Ist so´ne verzweifelte Erotik, so „ Komm, ich zeig mal gleich alles, mehr hab ich ja nicht“ – und es wirkt so dämlich, man denkt immer: Kucken die sich eigentlich im Spiegel mal an wie sie von hinten aussehn ? Man sieht den Schlüpfer und noch den Zettel mit der Waschanleitung von dem Schlüpfer. „Nee, danke, Mademoiselle, ich hatte eigentlich nicht vor, ihren Schlüpfer zu waschen“ will ich da immer sagen.“Aber 40 Grad also, ja ? Na, ist ja gut zu wissen.“Aber hab ich jetzt der nicht gesagt, der Technikerin da, der Metalgothicoderwasauchimmer. Eigentlich haben wir überhaupt nicht geredet, fällt mir grade auf, auch komisch, wa ?Vielleicht war sie keine Deutsche, der Name war auch schon komisch: Riga.War vielleicht auchn Spitzname. Es ist ja auch mit jungen Frauen eh leider nicht gut im Bett,da denken viele nicht drüber nach. Keine Erfahrung und diese krasse Kahlrasur unten – da bilden sich dann so winzige Pickelchen, da denk ich immer, ich fick mein eigenes Kinn. Hässlich war sie auch.“
Lucy nickte und rührte mit dem Löffel in ihrem schwarzen Kaffee. Warum ? Was verrührte sie da? Weder Milch noch Zucker hatte sie ja reingetan. Trotzdem rührte sie. Und ihr Rühren rührte auch Fil: diese besondere unlabelbare Frau.Er nahm ihre Hand.
„Das hier ist Karl Drogow,“ sagte Lucy, nahm die Hand weg und zeigte auf den Riesen neben ihr, „ Bei ihm durfte ich freundlicherweise heut nacht schlafen. In Klein Schwachau gibt’s ja kein Hotel.“
Karl Drogow lachte und legte einen Arm um Lucys Schulter.
„ Danke, Herr Drogow. Hatte mir schon Sorgen um Lucy gemacht. Die haben da ja gar kein Telefon oder Internet in Schattau, man fragt sich, wie die Riga ihr ganzes Gothic-Zeug ordert. Fährt sie wahrscheinlich in ne grössere Stadt, fahren können sie ja auf dem Land, sie hatte mir auch angeboten, mich zum Bahnhof zu fahren,aber ich hab gedacht ach nee, wozu, also, das war auch langweilig mit der.“
„Komm, wir gehen“,sagte Lucy und stand auf. Drogows schwere Hand glitt an ihr herab bis auf die Hüfte und blieb dort liegen.
„Glaubst du die hat überhaupt Gothicmetalfreunde hier in der Gegend?Das frag ich mich immer, wenn du so ´ner Jugendbewegung angehörst und bist aber der einzige in deinem Dorf, wie das so ist. Sie schien damit kein Problem gehabt zu haben, die Dings, Mensch, jetzt komm ich gar nicht mehr auf den Namen, ach Scheisse, weißt du was? Riga hiess sie ja, aber ich hab beim Abschied aus Versehn Gesa gesagt,weil ich mal was mit ´ner Gesa gehabt hatte und die war auch so jung und schwarzhaarig und mit grossen Brüsten gewesen. Haha, ist das krass.Oh Mann, ob sie mir das übelnimmt, was meinst du?“
Aber Lucy zahlte schweigend ihren Kaffee, verabschiedete sich von Drogow mit einem Kuss auf den Mund und nahm Fil bei der Hand.
Gemeinsam gingen sie mit ihren Rollkoffern zum Bahnhof.
„ Nächste Woche liest du in Dresden und in Weimar“, sagte Lucy, als sie im Zug nach Klein Dachau sassen. Hier gab es auch richtige Sitze.
“Ist in Weimar nicht der Tatort mit Nora Tschirna und Ulmen?“ fragte Fil,“ Ob Riga Tatort kuckt? Kucken die jungen Leute Tatort?Als Kult vielleicht, bei denen ist ja alles Kult.“
Fils total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 14 : Dresden
„ Setzt euch aufrecht hin mit gekreuzten Beinen und legt die aktive Hand in die passive“, sagte die Yogalehrerin vorne beim Altar,„ Schliesst die Augen, aktiviert das dritte Auge und kommt erstmal innerlich hier an.“
„ Wir müssen noch was wegen Dresden besprechen“, sagte Lucy, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
„Wolln wir das nicht nach der Yogastunde machen?“ fragte Fil mit geschlossenen Augen.
„ Wieso, jetzt ist doch eh grad nichts los“, erwiederte Lucy und öffnete eine Cola Light. Es zischte durch den Raum.
„Okay“, sagte Fil,“ Aber nicht, dass es jetzt wieder gar nicht Dresden ist, sondern irgend so´n anderes Dorf – Drögsten oder so.“
„ Nein nein, es bleibt bei Dresden, gibt nur´n paar kleine Änderungen, warte mal, wo hab ich denn meinen Planer?“
Lucy kramte in ihrer geräumigen Louis Vuitton und schmiss dabei krachend Dinge auf den glatten Boden.
„Wenn Geräusche im Aussen sind,dann nehmt die wahr, aber haftet nicht an ihnen“, sagte die Yogalehrerin vorne,“ Werdet selber still, sagt nicht : die Welt soll still sein.“
„Hier hab ichs!“ rief Lucy und hielt ein dickes Notizbuch hoch. Lucy. So süss : noch mit Büchern und Stiften unterwegs. Sie benutzte für ihre Notizen einen Vierfarbkugelschreiber – jede Farbe bedeutete etwas anderes. Es war ein System, das nur sie verstand, aber Fil sah es sich immer wieder gerne an.Fil war schriftophil, das heisst, schöne Schriften erregten ihn. Und Lucys dynamisch ausdrucksvolles „So und nicht anders „- Schriftbild war das heisseste, das er kannte.
Zum Glück hatten grad alle die Augen zu – Fil hatte nämlich zudem heute Lucys Leggins an und sie seine – ein heimliches Spiel, das sie manchmal beim Yoga spielten – und diese war derart eng und durchsichtig, dass Fil seine Begeisterung für Lucys Schrift nicht gut überspielen konnte.
„ Kuck da“, sagte Lucy und zeigte mit ihrem perfekt manikürten Finger auf schwarze und rote steil geschwungene Linien. Fil keuchte sanft und drückte die Oberschenkel zusammen als würde er mal müssen.
„Öffnet die Augen und nehmt die Arme über den Kopf“, sagte die Yogalehrerin, “ Atmet tief ein und haltet den Atem:“
„Wir machen kurz Pause, okay, Trainer?!“ rief Lucy und wandte sich dann wieder an Fil.“Schau, fast alles bleibt beim Alten :„26.2., Staatsschauspiel,20 Uhr. Nur der Titel der Veranstaltung hat sich geändert. Siehst du?“
„Manipulieren in Stehn?!!?“rief Fil entsetzt, „Aber… das ist ja ganz falsch! Mein Buch heisst doch…“
„Ich weiss wie dein Buch heisst,Fil. Ich habe es gelesen.“ – Pause – „ Aber wir hatten so wenig Vorbestellungen für die Veranstaltung, dass wir uns was ausdenken mussten. Mit diesem neuen Titel sind wir jetzt fast ausverkauft. Die Deutschen stehn halt auf etwas unmoralische Sachbücher,kann man nichts machen.“
„Wie und was soll ich dann da lesen?“
„Lies einfach´n paar Zeilen aus meiner Doktorarbeit,ich hab dir die ausgedruckt.“
„Nein,das will ich aber nicht! Ich will aus meinem eigenen Buch lesen! Aus Pullern im Stehn!“
„Du hast so einen starken Willen“, flüsterte Lucy und biss Fil in den Hals. Dann fuhr sie mit ihren Lippen den Hals hoch und runter und griff ihm zwischen die Beine,“ so einen starken Willen und so einen riesigen Schwanz.Oh Gott.Wird der jedesmal grösser ?“
„Doch nicht hier.“ murmelte Fil, aber sie drückte ihn auf die Matte und zog seine Leggins runter.
„Steht im Krieger – strahlend und stark“,sagte die Yogalehrerin, „ Füllt den Krieger von innen aus, beugt das vordere Bein noch etwas.“
Lucy setzte sich auf ihn. Fil beschloss, diese Sache jetzt nicht künstlich zu zergrübeln.
Was sollte er nochmal machen in Dresden? Ach, würde schon gutgehn.
Fils total verrückte Lesereise mit ausgeflippten Hindernissen
Kapitel 15
„Ich Armer!“ hustete Fil, als Lucy die Tür aufschloss. Kalte Luft kam vom Treppenhaus herein. Fil zog die Decke hoch bis an die Nasenspitze und zitterte.
„Tür zu!“ keuchte er, bekam einen weiteren Hustenanfall und rief dann:“ Ach!“
Lucy stellte die Tüte mit den Einkäufen auf den Küchentisch, riss eine neue Teepackung auf und füllte den Wasserkocher.
„Ich bin so arm!“ rief Fil aus seinem Schlafzimmer. Vielleicht gab es da draussen irgendwelche Frauen,die dieses Geheule süss fanden – Lucy war hochgradig genervt. Seit zwei Tagen spielte sie Krankenschwester für diesen Hilfshorst. Sie hatte so dermassen die Schnauze voll, aber sie durfte jetzt nicht nachlassen – sie brauchte Fil für ihre grausame kaltsüsse Rache. Der Gedanke daran gab ihr Kraft und so schlüpfte sie aus ihrem Hosenanzug, zog den weissen Kittel an, band sich einen Zopf, setzte die Haube auf, packte eine Tasse Kamillentee, Kekse und ein Überraschungsei auf ein Tablett und stöckelte damit rüber zu Fil.
„Geht´s meinem Goldhasen immer noch nicht besser?“ fragte sie lächelnd und stellte das Tablett auf den Boden neben Fils von einem Ozean aus Papiertaschentüchern bedecktem Bett, wobei sie sich so vorbeugte, dass ihr der lächerlich knappe Schwesternkittel über den Hintern rutschte.
„Ich will dich haun!“sagte Fil und schlug nach ihrem Seidenschlüpferumbrandetem Po. Aber der Schlag war zu kraftlos und der Radius falsch berechnet so dass seine Hand ins Leere drosch.
„Ich will dich haun!“ rief er nochmal.
„Aber warum denn nur?“ fragte Lucy mit hochgezogenen Augenbrauen während sie sich aufrichtete und einen Straps geradezog.
„Weil du böse bist.“ Sagte Fil,“Böse Lucy!“
„Bin ich schlecht? Hab ich eine Strafe verdient?“
„Ja!“ rief Fil,“Böse Lucy! Los jetzt!“
Lucy drehte ihm ihren Hintern zu und zog langsam den Kittel hoch.
„So!“ sagte Fil und patschte drauf. Dann nochmal. Und ein drittes Mal . Wie ein Kind beim Topfschlagen. Dann sank er ermattet zurück in die Kissen.
„Ich bin so krank.“ stöhnte er.
„Ich weiss.“ sagte Lucy, „Am besten versuchst du zu schlafen,damit du morgen fit bist für Dresden.“
„Hö?“ Fil sah sie mit grossen schlafverklebten Augen an.
„Du weißt doch: deine Lesung im Staatsschauspiel.Manipulieren im Stehn. Sie haben schon 43 Karten verkauft und die Veranstaltung vom Keinen Saal in den Kleinen Saal verlegt. Die Dresdener freuen sich sehr,dass bei ihnen mal was Schönes passiert.“
„Aber….aber…“ Fil runzelte die Stirn, „Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, ob ich das schaffe… weil…ich bin doch wirklich richtig krank, ich glaub ich hab sogar Fieber…also weil…“
„Armes Hühnchen“, seufzte Lucy, hob sein Spiderman -Schlafanzughemd hoch und begann langsam seinen Bauch hoch und runter zu streicheln.
Dann fasste sie ihm in die Hose und jonglierte ein wenig mit dem schlaffen Hodensack.
„Hand kalt!“wimmerte Fil.
„Wird gleich warm“,beruhigte ihn Lucy und begann, seinen Penis zu reiben.
„Du aber Lucy, mal im Ernst,können wir das nicht ausfallen lassen morgen ? Ich finds ja auch schade, ich hätts echt gern gemacht, aber — du siehst ja selber…“
„Schsch“, machte Lucy,“ Gar nichts lassen wir ausfallen. Mein grosser Held wird das super hinkriegen, da bin ich sicher.“
„Aber ich hab gelesen wenn man krank ist soll man sich nicht so anstrengen, da kann sich der Herzmuskel entzünden.“
„Das ist so ne Geschichte wie mit dem Impfen. Ausserdem wirst du morgen wieder ganz gesund sein. Schwester Lucy wird dafür sorgen.“
Fil schloss die Augen und stöhnte.
So hatte er sich das schlendrige Literatenleben nicht vorgestellt. Aber so ähnlich hatte er sich´s vorgestellt. Lucy rieb weiter. Reiben war kein gutes Wort, man dachte da gleich an die Rettichreibe, aua. Die Amis sagten ja „stroke“ dazu. „She stroke his dick“ – das beschrieb irgendwie viel akkurater, das was gerade hier geschah.
„Soll ich mein zweites Buch mal auf Englisch schreiben, was meinst du?“ fragte er.
„Klar“, sagte Lucy.
„Du kannst ruhig ´n bisschen doller.“
„So?“
„Ja, aber trotzdem bis richtig nach unten bitte.“
„So?“
„Ja.Ach.Oh.“
„Kuck mal,der Kleine ist schon gesund.“
„Mhm.“
Fils total ausgeflippte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 16
„Nü fräylösch, pfrbybscht“ sagte Frieda, „Do gähsch am Dinnrsdrg hin – und dü gümmst gfällsscht mütt.“
Öch, wäysssch nidd“, entgegnete Gerdolfa, „Wss söllndös ybrrhöupd sein: Manibulliern im Stehn ?“
„Ys döch ögol.“sagte Frieda, „ Gügg dyr nr ml dn Dybn üffm Blogod ön: n Mörschnbridz wiar üm Büche stehd. Zogor myt Brülle üff dr Nösö:´n rischjor Nörd, da schtehschja drüff.“
Gerdolf betrachtete das Plakat. Stimmt schon, dieser Fil sah ziemlich gut aus. Aber den würde sich ja eh wieder Frieda greifen und sie konnte dann in die Röhre kucken. Nie war es anders gewesen. Gerdolfa seufzte. Ihren Namen fand sie auch doof. Warum war es so, dass den Friedas dieser Welt immer alles Gute wiederfuhr und den Gerdolfas dieser Welt (die im übrigen nur aus ihr selbst bestanden,sie hatte das mal gegoogelt ) nur Mist ?
„ Wolln wor nüsch lybr öm Dnnrsdrg ndz Ginö gehen? Dr Brdmynn söll jir vrdröfflisch seyn. “ fragte sie, die Antwort schon kennend.
Und sie wusste auch, dass Frieda sie wieder rumkriegen würde. Schon zu Grundschulzeiten hatte die das jedesmal geschafft.
Und bereits damals waren sie unzertrennlich gewesen: die langbeinige Frieda und die käsige Gerdolfa.
Käsig. Wer hatte sie als erstes so bezeichnet? Wusste sie schon gar nicht mehr, vielleicht wars sogar mal wieder Frieda gewesen. Passte auf jeden Fall wie die Faust aufs Auge. Nicht nur sah sie käsig aus, Hautfarben – und Körperspannungstechnisch gesehn – sie fühlte sich auch wie ein Käse.
Wie so´n oller Käse mit Kümmel drauf den keiner isst.
Wenn sie Frieda nicht hätte, die sie immer wieder aus ihrem Kühlschrank rausholte wär sie da drin wohl schon längst vergammelt. Und mit Frieda war´s wenigstens immer lustig. Eine Welle aus dankbarem Freundschaftsgefühl schwappte durch Gerdolfas Käseseele. Sie lächelte ihre Freundin an und sagte:“ Ölsö güd. Schnybbn wrn üns, deinn Mörschnbrindz.“
„Sie sind also der Seminarleiter?“ fragte der mickrige Mann.
„Seminar – weiss ich ja nicht…“ murmelte Fil und bekam einen Hustenanfall.
„Steht Husten nicht für unausgesprochene Konflikte?“ fragte der Mickrige besorgt. Er hatte Fil vom Dresdner Bahnhof abgeholt. Nun sassen sie in der Strassenbahn.
„Nein“, versicherte ihm Fil heiser.
Ein alter Typ mit leuchtend weissem Bart, der ein paar Plätze weiter sass, begann laut zu gröhlen : „ Sing, mei Sachse, sing! Et is ja ouch ne Ding!“
„Schnauze“, sagte Fil. Der Alte verstummte.
Fil war schlecht gelaunt. Er war immer noch so krank und trotzdem hatte ihn Lucy hierher geschickt. Und war nicht mal selbst mitgekommen – angeblich musste sie dringend zurück nach Klein Schwachau um nochmal mit Karl Drogow zu schlafen, weil der so „gut“ wäre, aber Fil ahnte den wahren Grund: sie war schlicht und einfach zu faul. Er fühlte sich von Lucy nicht mehr gut betreut und dieser Mickerling hier ging ihm auch auf den Sender.
Zudem fühlte er sich schlecht vorbereitet. Klar, er hatte Lucys doofen Manipuliertext in der Tasche, aber ursprünglich hatte er vorgehabt, vor dem eigentlichen Vortrag mit ein paar beissend sarkastischen Seitenhieben auf Dresden das Eis zu brechen. Hatte auch extra bei Wickipegida gekuckt, was sich anböte, aber er war zu krank gewesen um sich zu konzentrieren und jetzt hatte er nur, dass Dresden früher Elbflorenz genannt wurde, aber Florenz ja wohl nie Donaudresden. Ob das Lacher geben würde? Fast wars ihm grad egal.
„ Bräüchn Ssie n Mügröfön ?“ fragte der schwarzgekleidete Techniker als Fil und sein Begleiter in der uncharismatischen Mehrzweckhalle angekommen waren.
„Was, Mikro ? Ja, glaub schon. Bin ziemlich heiser.“ Armer Fil, dachte Fil. Armer armer armer Fil. Der Techniker blieb stehn wo er war mit den Händen in den Taschen.
„Wäre wirklich gut“, sagte Fil während der Mickrige aus irgendeinem schwachsinnigen Schrottgrund begann, seine Finger auszuschütteln. Was war mit diesem Idioten los? GAB es ihn überhaupt oder war er nur eine optische Täuschung? Fil musste wieder husten. Dann zog er ein krumpeliges Taschentuch aus der Jeans, eins das eigentlich nicht mehr ging – wie Deep Purple oder Black Sabbath war dieses Taschentuch: viel zu alt, viel zu kaputt, viel zu oft gebraucht, aber trotzdem bildete man sich ein, es würde noch funktionieren. Und weil man selbst dran glaubte funktionierte es tatsächlich irgendwie. Die Welt war Scheisse und wurde von alten weissen Männern regiert.
Beim Taschentuchrausholen klackerte versehentlich das Leatherman Universaltool,das Riga Fil geschenkt hatte aus der Tasche auf den Boden.
„Lössörrmönn“ sagte der Techniker, nickte kurz und setzte sich in Bewegung.
Der kleine Saal war voll als Fil begann. Hinten standen sogar einige, die keine Sitzplätze bekommen hatten.
„Manipulieren im Stehn“,krächzte er, geblendet vom Scheinwerferlicht ins Mikro, „ Das – werden wir jetzt gleich lernen. Schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Mein Name ist Fil, einfach nur Fil, wie Madonna. Um Ihnen das Thema besser nahebringen zu können wärs vielleicht hilfreich, wenn Sie mir erst einmal sagen, warum Sie überhaupt andere manipulieren wollen – also – was ist die Motivation, die Sie hierher geführt hat heut abend ?“
Ein alter Mann stand zitternd auf. Er hielt eine Netto -Plastiktüte vor der Brust umklammert und rief: „ Domüt wör nisch sälbörr manibullyrd wärrn !“
„Gynöu!“ rief eine Oma am andern Ende des Saals.
„Beschtändch üss mon därr Dümme!“ rief ein Dritter und auf einmal fingen sie alle an laut und emotionsgeladen durch den Saal zu rufen.
„Ssäuerai !“
„Die dä öbn gümmärdts döchn feischdn Treck!“
„Jödz röschdz öbr möl!“
Fil liess sie rufen und schaute dabei auf die Uhr. Schon 7 Minuten rum, noch 73.
Als die Empörung langsam verebbte griff er in seine Kladde, holte den Text heraus und breitete ihn auf dem Tisch vor sich aus.
„ Plan, wie ich Fil als Werkzeug meiner Rache einsetzen werde „ las er. Hä ? Was sollte das denn jetzt?Er schaute auf die zweite Seite, dann auf alle anderen – überall nur: Rache hier, Fil als Werkzeug dort.
Oh NO ! Lucy, das verträumte Schäfchen hatte ihm den falschen Text ausgedruckt. Diese Notizbuchsuse konnte natürlich nicht mit einem Computer umgehn, typisch. Irgendwie auch süss.
Und jetzt ?
„Manipulieren im Stehn.“ sagte Fil,„Ma – ni – pu – lie- ren im Steh –he-henn. …. Ste – he –hennnn.Haha.“
Die Leute begannen unruhig zu werden.
„Man nennt Dresden ja auch Elbflorenz“, sagte Fil.
Mit bedeutsamen Gesichtsausdruck schwieg er ein Weilchen und fügte dann hinzu:
„Aber ich hab noch nie gehört, dass man Florenz als Donaudresden bezeichnet.“
Schweigen.
„Ssauöräy!“ rief endlich der Opa mit der Tüte. Fil lächelte ihn dankbar an.
Dann stand er auf und ging von einem Ende der Bühne zum andern und wieder zurück wobei er den Kopf etwas vorbeugte und sich mit Daumen und Zeigefinger in die Stirn kniff.
Heimlich sah er dabei auf seine Armbanduhr: 10 Minuten rum. Noch 70.
Er trat ans Mikrofon,setzte sich jedoch nicht hin, sondern stemmte beide Hände links und rechts in den Tisch und beugte sich vor.
„Brorg.“ sagte er.
Schweigen. Scharrendes Schweigen.
„Brorg“, wiederholte Fil, „ Wisst ihr, was das heisst?“
Der Opa meldete sich.
„Ja?“
„Sch gennt mer vörschdölln, ds ds nö Äbgörzüng üs.“
„Ah ja, das können Sie sich also vorstellen. Aber Sie WISSEN es nicht, oder ?“
Der Opa schüttelte den Kopf.
„Da habt ihr´s, Leute. Da habt ihr´s.“ Fil schüttete den Kopf. Dann begann er zu nicken.
„Ihr wisst es nicht. Und das ist der Punkt. Das ist eben genau der Punkt. Dass ihr´s nicht wisst.“
„Üssüs dönn gainö Äbgörzüng?“
„Darum geht´s nicht. Was das bedeutet ist egal. Es geht mir drum zu zeigen wie wenig wir wissen.
Wir wissen so wenig. Klar, wir werden manipuliert, soviel wissen wir immerhin. Aber WARUM wir jetzt manipuliert werden das wissen wir wieder nicht. Ich meine – vielleicht ist es ja gar nicht böse gemeint? Wissen wir´s?“
Noch 68 Minuten.
„Manipulation ist die Zärtlichkeit der Mächtigen hab ich mal gelesen und da ist viel Wahres dran. Denn – schaut, wer sind die Mächtigen? Die da oben ? Die uns manipulieren?Wer sind die? Einsame alte Männer. Sie sind wie dieses Taschentuch hier – seht: alt, weiss, kaputt, verrotzt, kann schon nicht mehr, muss aber doch. Oder kuckt mal dieses hier: noch übler. Hier ist noch eins.
Die Wahrheit ist – und hier verlassen wir die Taschentuchmetapher, reicht sie durch und gebt sie mir dann bitte wieder – die Mächtigen sind arme Schweine. Sie sind EMOTIONAL arm. Müssen sie sein, denn nur durch permanente Unterdrückung deiner Gefühle kommst du nach oben. Die Mächtigen manipulieren uns, weil sie anders gar nicht mehr mit uns in Kontakt treten können. Sie sind so einsam, einsame Riesen. Sie wolln dass was geschieht, sie wollen Nähe – aber sie sind so kaputt, dass sie die nicht mehr empfinden können. Wollt ihr so werden wie die?!“
Betreten starrten die Seminarteilnehmer zu Boden.
„Ich mein, wir KÖNNEN das hier durchziehn, wir KÖNNEN das jetzt lernen: manipulieren im Stehn,wenn ihr sagt ja, dann machen wir das eiskalt“ Fil hielt Lucys Computerausdrucke hoch.
„Oder“, Er fing an, die Zettel zu zerreissen,“Oder ihr sagt mir, nein, wir wolln nicht solche kaputten Säcke werden, wir verkaufen unsere Seele nicht.“
Fil zerriss die Zettel in immer kleinere Stücke und warf die hinter sich.
„Schnee!“ rief ein kleines Mädchen. Eine Frau lachte.Befreit.
„Ich habe heute auf dem Weg hierher in der Strassenbahn einen alten Mann gesehn – nicht reich, keine Macht. Zerschlissene Schuhe und ein speckiges Wams. Aber seine Wangen haben geleuchtet und in seinen Äuglein da hat ein Schalk gefunkelt. Und wisst ihr, was dieser Mann getan hat?“
Sie hingen an Fils Lippen.
„Er hat ein kleines Lied gesungen. Sein Herz war so voll Freude trotz oder eben gerade WEGEN seiner Machtlosigkeit, dass ihm das Glück zum Mund heraussprang. Vor diesem Alten können sich die Mächtigen der Welt verneigen – er weiss mehr, als sie alle zusammen. Er manipuliert nicht – er singt. Und bringt damit ein wenig Sonne in unser Leben. Es ist so einfach. Es ist so klar zu sehn: der Manipulierte ist glücklicher als der Manipulator – ein Lied fegt alles weg.“
„Ws hoddr dönn fiern Lied gösüngn, dör Öldö?“ fragte eine Frau.
„Wollt ihr´s wissen?“
„Nü freylsch!“
„Soll ich´s euch sagen?“
„Sög´s!“
„Mer wöllns nü öuch wüssn!“
Fil richtete sich auf und liess seinen Blick durch den Saal schweifen. Er wartete bis völlige Ruhe eingekehrt war. Dann beugte er sich wieder zum Mikro runter und flüsterte :„ Er hat gesungen : Sing,mei Sachse, sing…“
Der ganze Saal fiel mit ein. Und die restlichen 60 Minuten sangen sie gemeinsam alle Lieder die sie kannten.
Fils total ausgeflippte superverrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 17
„Und heute also Weimar“ dachte Fil, als er Frieda an der Hotelzimmertür einen Abschiedskuss gab. Sie zog ihren Lederoptikmini zurecht,weckte ihre käsige Freundin, die die Nacht anscheinend auf dem Flur verbracht hatte und gemeinsam zogen sie kichernd ab. Fil sah ihnen hinterher.
Glückliche Dresdnerinnen! Heiter, unbeschwert, jung – wollten nicht die Welt aus den Angeln heben, niemanden manipulieren, keinen funky Abdruck im Schlamm der Weltgeschichte hinterlassen – Ficken, Facebook,Führerschein und damit zufrieden sein, das konnten die. Warum konnte er selber das nicht? Warum war er so ruhelos, so getrieben? Wann war aus ihm dieser egozentrische Irre geworden, der ständig nur schrie: Hier! Ich! Kuckt mal, was ich schon wieder gemacht hab! Welche kosmische Übermutter wollte er damit denn beeindrucken, verflucht nochmal? Endete das je? Hatte man je dieses Ziel erreicht als Kreativer, dieses Ziel von dem man gar nicht wusste was es war?
Der Weg ist das Ziel sagte reflexhaft eine innere Stimme. Hilfe. Gings noch banaler ? Der Weg ist das Ziel, wie man in den Wald hineinruft so schallt es heraus, wenn in der Hölle kein Platz mehr ist kommen die Toten auf die Erde zurück. Das Zynische war, dass in diesen ganzen Omasprüchen tatsächlich mehr genial komprimierte Weisheit enthalten war als man als Schriftsteller je zusammenschreiben könnte. Im Gegenteil. Je mehr man schrieb umso mehr schrieb man sich von der komprimierten Weisheit weg. Fuck.
Schreiben war Scheisse. Lüge wars. Friedas Minirock war wahrhaftiger als der gesammte Thomas Mann. Und sein Bruder.
Vielleicht war das auch nur der Kokskater, der alles so grau machte. Dreckszeug. Fil hatte es blöderweise gestern mit seinem Aspirin Complex verwechselt. Jetzt hatte er braune Löcher im Gehirn,war immer noch krank und musste nach Weimar. Und er hatte Lucy betrogen. Schon wieder. Das musste endlich mal aufhören.
Schlecht gelaunt trabte Fil durch den Nieselregen Richtung Bahnhof.
„Also Karten verkauft in dem Sinne haben wir jetzt keine“, sagte die Betreiberin des Jugendklubs „ Goethe“, „ Aber bei uns läuft eh immer viel über die Abendkasse.“
„Könnt ichn Tee haben vorm Auftritt?“ krächzte Fil.
„VORM Auftritt ? Da müsst ich mal sehn. Aber das sollten wir doch hinkriegen. Ich denk das kriegen wir hin.Was fürn Tee hätten Sie denn gerne: Kaktee- Hibiskus, Blutbuche – Klee oder Energie?“
„Energie.“
„Ja, da kuck ich mal was sich da machen lässt.“
Sie verschwand.
Mit dem schwarzgekleideten Techniker testete Fil das Mikro.
„Is´n Kondensator“, sagte der.
„Das sagt mir leider nichts.“
„Hab nur das eine.“
„Wird schon gehen.“
„Klingt nachher eh anders wenn die Leute kommen.“
Drei Leute kamen. Ein älteres Ehepaar und der Verrückte des Dorfes.
„Für uns hiess es damals: no Future“, begann Fil zu lesen, als klar war, dass das mit dem Tee doch nicht hinhauen würde, „ Game over, last exit. Es waren die Achtziger und es war Restberlin.“
„Ja, Mann“, sagte der Verrückte des Dorfes. Die Eheleute hielten sich ängstlich aneinander fest. Der Techniker stand hinter seinem Pult und starrte geradeaus. Er hatte das Saallicht angelassen. Vielleicht gings auch nicht aus. Vielleicht war´s Kondensatorlicht. Fil war jetzt alles egal. „Keine Atempause. Helmut Kohl der grosse Obermufti. Grau war alles, grau. So grau. AAAAAAAAAHHH!!!!
Jimmy und ich hockten in der Korowa Milchbar an einem von diesen gewissen Abenden wie es wieder mal einer war. Jimmy hing an der Nadel, ich selber rauchte das Zeug nur. Damals noch. Wir waren die Golden Boy´s, jeder kannte uns. Konntest jeden fragen nach den Golden Boy´s, aber was brachte uns das? Wir waren fertig. Unten.
„Ich besorg uns noch was“, sagte Jimmy und zog davon. Allein blieb ich am Pfeiler lehnen. Berlin, Berlin, drang es aus den Boxen.Gefangene der Nacht schwebten mit ihren Kayalbeschmierten Totenschädeln an mir vorbei. Die Nacht war Leben. Die Nacht war Härte. Die Nacht war Schmerz.Wo blieb Jimmy?“
„Vielleicht schiffen gegangen.“ schlug der Verrückte des Dorfes vor.
Nach der Lesung, nachdem die beiden Alten ein Buch für ihren Sohn gekauft und der Verrückte des Dorfes und Fil Telefonnummern getauscht hatten packte unser kranker Freund zusammen und fragte den Techniker: „ Wie komm ich jetzt zurück zu meinem Hotel?“
„Sehr kompliziert, hier links raus in die Schriftstellergoethestrasse, dann rechts in den Bauhausweg, am Goetheplatz vorbei und dann links in die Goethegasse,die immer geradeaus, noch über den Bauhausplatz rüber, dann wird sie zur GoetheundSchillerstrasse, der immer folgen bis zum Goethedenkmal. Da in die Baumhausstrasse bis Sie wieder zum Goetheplatz. kommen Da geht ´ne kleine Gasse ab, die heisst Goethe. Die rein bis zum Ende,da ist das Hotel. Hotel Geheimrat Goethe.“
Wieder Nieselregen. Wie hiess diese Strasse hier? Goethensteig. War das noch richtig? Rechts war ein Goethedenkmal, aber links war auch eins. Fil bibberte. Sein Rollkoffer würde kaputtgehn auf diesem ganzen Kopfsteinpflaster hier. Goethecenter,Bauhausking,wo war denn jetzt der Goetheplatz ? Freitag nacht in Weimar und keiner auf den Strassen. Fil bekam einen Hustenanfall, der in würgende Krämpfe überging.
„ Lucy“, keuchte er. Da sah er geradezu einen Schatten der sich bewegte. Jemand stand dort unter einem Vordach. Ein älterer Herr mit schneeweissem langem Haar.
„He!“ rief Fil und hinkte rüber zu ihm,“ Entschuldigung, kennen Sie sich hier aus ?“
Der Weisshaarige sah ihn an. Dann sagte er:
„Hier,fremder Grübler, oder dort?
Das ist bloss Fantasie.
Beides ist ja derselbe Ort
Und „aus“ kennt man sich nie.
Gehst du nach dort wir es zum hier
Du selber bist der Held.
Das Drumherum ist hohle Zier.
Kenn DICH, Mensch, und du kennst die Welt.“
„Ja,richtig, aber jetzt in diesem“,
erwiederte Fil,
„konkreten Fall nutzt mir das nichts.
Ich such ja – sorry, muss grad niesen-
Mein Gasthaus – schwerlich findet sichs
Durch Selbstbetrachtung, Nabelschau,
Einswerdung, Karmaputzen
Das was Sie sagen klingt recht schlau
Allein: mir fehlt der Nutzen.“
Der Weisshaarige schmunzelte. Jetzt sah Fil, dass er eine Perrücke trug. Und einen wirklich altmodischen Gehrock.
„Frag nach dem Nutzen nicht, bevor“
sagte er nun,
„du nicht den Sinn gefunden.
Der Teufel haut dich übers Ohr
Und stielt dir schöne Stunden
Indem er dich zum Sklaven macht
Der Nützlichkeit, der kühlen.
Vernützelt tappst du durch die Nacht
Und kannst bald nichts mehr fühlen.
Es ist der Fluch der neuen Zeit,
der Deutsche hats im Erbgut eh
Eng ist der Nutzen, aber weit
wird alles wenn ich´s nicht versteh.
Wenn ichs nicht nutzen will, nicht melken,
wenn ichs nur lass und mich dazu,
dann krachts nicht mehr in den Gebälken
und endlich hat die Seele Ruh.“
„Die Seele Ruh, das klingt wie „tot“
und damit hab ich meine Not.“
wandte Fil ein.
Goethes Geist lachte. Dann fasste er Fil unter und gemeinsam liefen sie durch den Regen auf der Suche nach dem Hotel.
Fils ungaublich durchgeknallte Lesereise mit Hindernissen und Goethens Geist
Kapitel 18
GOETHENS GEIST :
„ Mein teurer Freund, darf ich das sagen:
Ihr wirkt bedrückt. Was quält Euch? Sprecht!
Ist es das Herz oder der Magen?
Ward Ihr verlassen? Ist Euch schlecht?
Habt Ihr Sirenenklang vernommen
Und wart an keinen Mast gekettet?
Oder ist Euch was nicht bekommen?
In Weimar jips ja reichlich Fettit.
Wars Würzfleisch oder Wirtes Tochter
was Euch die Lebensgeister lähmt?
Mal liebt der Mensch, dann wieder kocht er
Und wenn er nicht die Sinne zähmt
Öffnen sich Abgründ schneller dann
als „Schürz“ oder „ Gewürz“
er sagen kann und finster, Mann
ist dann der Höllenstürz.“
FILLEN:
„Ja,Euch zu täuschen ist wohl schwer.
Ihr seid ein kundiger Betrachter.
Könnt sehn: wenn einer schweigt hat er
Wohl ein Problem. Wenn nicht, so lacht er.
Und an Problemen gibt es dann
anscheinend zwei sogar.
Ich bin beeindruckt. Mannomann:
Ihr denkt scharf wie ein Haar.
Mal sehn: gegessen hab ich gut
-muss es wohl Herzleid sein.
Sicher gebrichts mir nur am Mut
Um das zu sehen ein.
Zwar fehlen Anzeichen, jedoch
Das soll uns bloss nicht stören.
Pflichtschuldig fall ins Höllenloch
ich zu den andern Gören,
die falsch geliebt und falsch gefressen.
Nun brennen wir – zufrieden?
Warum? Das haben wir vergessen.
Herr Goethe hat´s entschieden.
Und wie Herr Goethen sagt, so ist´s.
Sonst wär er ja Herr Simmel.
Er sieht durch Nebel, looks through mists
Nicht wie wir andern Pimmel.“
GOETHENS GEIST:
„ Welch giftger Stachel immer bleibt
die Götzin Ironie.
Hat einmal man sie einverleibt,
dann zwingt sie in die Knie
alles was schön, was gut, was rein,
was uns erheben könnte.
All jenes macht sie künstlich klein
-keiner, dem sie was gönnte.
Oh hüt dich, Mensch, vor solchem Geist,
der graden Weg verschmäht
und in die Hand des Füttrers scheisst,
der Hass und Zwietracht säht.
FILLEN:
„Ich Esel seh gar nicht die Möhrn!
Dabei – jip jipp juhu –
Darf ich das Wort zum Sonntag hörn.
Umsonst und draussen noch dazu !
Verzeiht, wenn ich in Hände scheiss,
bin doch ein schlichter Tropf.
Ihr aber seid ja schon ganz weiss
Vor Weisheit – auf dem Kopf.
Fürwahr, ich sollt mich glücklich preisen
-was krieg ich hier geschenkt!
Weis –wurst- heit von nem grossen greisen
Genie, das wenn man´s recht bedenkt
schon tot ist, lang schon, Erde wieder,
ein Fiebertraum, nicht echt
ein Bonus für die kranken Glieder
- naja, besser als Brecht.
GOETHENS GEIST :
„Ja, Ihr seid krank, nun seh ichs auch.
Die Lymphe ist geschwollen.
So wie der Kopf. Hört auf den Bauch
Und lasset ab vom Wollen.
Ihr sträubt Euch, steht Euch selbst im Weg,
versucht´s mit Akzeptanz.
Es ist der Schrägste nicht so schräg,
dass er im Lebenstanz
still lange stehen kann,oh nein!
Leben heisst Unterwerfung.
Und wer sagt: seh ich gar nicht ein
Kriegt Krankheit als Verschärfung.
FILLEN :
„Du Homopath, mir reichts jetzt mal
mit deinem Esotralala.
Rechthaberisch und absurd banal
Kommst du mir vor – warum ist klar:
Mir selbst kann ich die Schuld nur geben,
denn ich erfieber dich
mir ja herbei, das ist ja eben
besonders widerlich,
dass all das hohle Dumpfgelaber
ich selber mir verpasse.
Warum? Das weiss der Teufel, aber
Kuck hier : die Goethegasse!
Die gradeaus bis sie zur Goethe-
undSchillerstrasse wird und dann
noch vor der ersten Morgenröte
beim Denkmal in die Baumhaus,Mann,
Und nach dem Platz die kleine Gasse
- hier ist sie! Eng,schmal und gewunden-
obwohl ich es fast selbst nicht fasse:
Jetzt hab ich das Hotel gefunden!“
GOETHENS GEIST:
„Du siehst, Mensch…“
FILLEN :
„Alter, mach mal Pause.
Ich will ins Bett,ich bin zuhause.
Ich will jetzt poofen wie die Doofen,
Tschö mit ö,Göte mit gö.“
Fil winkte nochmal und klingelte dann dem Nachtportier, der ihn schlechtgelaunt einliess.
Goethes Geist rief ihm hinterher:
„ Folge nur dem alten Spruch und meiner Muhme der Schlange!
Dir wird gewiss nochmal vor deiner Gottähnlichkeit bange!“
„Versmass,Alter,Versmass“ murmelte Fil. Dann schleppte er sich auf sein Zimmer, warf sich angezogen aufs Bett und schlief bibbernd ein.
Fils unglaubliche verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 19
Sieben Tage lag Fil im Krankenbette. Sieben Tage Gliederschmerzen, Rotz und harter Husten. Sieben Tage, während derer er verzweifelt versuchte, etwas Gutes dran zu sehn.
„All diese kleinen Viren“ dachte Fil – „Milliarden. Abermilliarden. Alle in mir. Das heisst ich bin ein Gigant.“
„Fil ist kein Gigant“ schrieb Amazonbewerter Spritzi12, “Er mag sich für einen halten, aber was er in Pullern im Stehn ablässt ist pures Mittemass. Schade, dass man nicht null Sterne vergeben kann. Schade, dass es keine Judensterne sind.“
„Liess mir sowas doch nicht immer vor!“ stöhnte Fil.
Lucy sah vom Laptop auf und schmunzelte.
„Ich dachte, das amüsiert dich.“
„Wieso zum Teufel ….Hust, hust, aua, mein Hals,ich Armer …wieso soll mich das amüsieren,ey?!“
Sie zuckte mit den Schultern und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Fils Augen weiteten sich entsetzt.
„Keine Angst, ich geh auf den Balkon“,sagte sie.
„Ich hab –hust,aua,Scheisse – gar keinen Balkhhn.“
„Noch nicht.Aber warts mal ab. Wenn wir erst eine Million Bücher und die Filmrechte verkauft haben besorgen wir dir ´ne Villa.“
„Wieviel—hust!-wie—hust—ach,gargl,h h, wie—viel Bücher husthust wir denn schon verkauft?“
„Noch nicht irre viel. Irgendwas um 1000. Die Idioten da draussen müssen erstmal schnallen, wie gut dein Pullern ist.“
„Und wenn sie das –kach ahahaha,au, gar nicht schnallen?“
„Das werden sie. Wir helfen ihnen dabei“, lachend zündete Lucy ihre Zigarette an, „ Deine Lesetour wird alle überzeugen.“
„Bisher….naja…“
„Bisher wars ja auch nur der Osten, da gibt’s eh nichts mehr zu holen, aber nächste Woche geht’s ab in die alten Bundesländer und der Auftakt am Dienstag wird gleich der Oberhammer : Düsseldorf. Da sitzt die Kohle. Und wir haben jetzt schon 80 Karten vertickt – die Düsseldorfer checken dich, Junge.“
„Düsseldhhhh ! Düsshhhhaarrrr, erldorf, ja, das fhhhnd ich gut. Da wohhntn alter Kumpel von mir. Aus Punkerzeiten.“
„Dann lad ihn ein. Und sag, er soll noch Leute mitbringen. Aber erstmal : werd schön wieder gesund. Kann ich noch was für dich tun?“
„Darf ich dich vielleicht nochmal haun?“
„Na klar, wenn´s dir dann besser geht. Alles für meinen Goldhasen.“
Lucy drückte die Zigarette in Fils alter Zahnspangendose, die er für´s Filmuseum der Zukunft aufbewahrte, aus, stand auf, begab sich zum Bett,zog langsam ihren grauen Tweedrock hoch und reckte Fil den Hintern entgegen.
„Gemeine Lucy“, sagte Fil und haute mit der flachen Hand drauf, „ Gemein, gemein, gemein.“
„Endlich kommste mal nach Düsseldorf“, sagte Bambino und schlug Fil auf die Schulter.
„Stimmt.“entgegnete der. Er fühlte sich immer noch nicht richtig gesund. Und Lucy war wieder nicht mitgekommen. Stattdessen begleitete ihn diesmal eine Art Praktikantin. Vendetta hiess sie, war Halbitalienerin und schön wie der Schatten einer blühenden Pappel den eine Gaslaterne in Sommernächten an restaurierte Gründerzeitfassaden wirft, aber sie war nicht Lucy. Jetzt war sie gerade nicht mal DA; inspizierte den Auftrittsort während Fil seinen alten Freund besuchte.
Bambino und er gingen einen Weg zurück: in den 80ern hatten sie zusammen in der Punkband Spucke2000 gespielt, bevor Bambino die Gruppe „Wie Pfotendosen“ gegründet und damit Weltruhm erlangt hatte. Und Fil sich für Ägyptologie an der T.U. eingeschrieben hatte – auch interessant.
„Wie komm ich denn zu der Ehre?“ fragte Bambino und rotzte gekonnt quer durch das Loft mitten hinein in den goldenen mit Rubinen und Smaragden üppig verzierten Spucknapf.
„Ach, ich hab heut abend eine Lesung im Zakk,weißt du und da verband sich das gut.“
„Verband sich das gut“?? Wie redete er denn auf einmal? Trocken wie der After eines toten Wiesels. Fil ärgerte sich, dass Bambino ihn immer noch so intimmidierte – der Freund strahlte eine derart massiv selbstsichere Männlichkeit aus, dass Fil sich neben ihm wie ´ne Schwuchtel vorkam. Wie Bambino schon auf dem mit Mammutfell bezogenem Vivian Westwood – Sofa sass – als hätte ihn ein Starfotograf dort drapiert. Jeder Arm, jedes Bein schien sich 100prozentig am für ihn optimalen Platz zu befinden,der ganze Körper war meisterlich ausballanciert und ruhte in sich wie ein Gebirge.
Fil selbst dagegen hatte wie er jetzt bemerkte, die Beine blöde übereinandergeschlagen und stützte sich anscheinend mit beiden Händen schwer auf die Lehnen seines Sessels, was Kraft kostete ohne effektiv zu sein, er rutschte mit dem Po hin und her, verklemmte sich das rechte Ei und sein Rücken tat ihm weh.
„Machst du noch Karate?“ fragte Fil und dachte im selben Moment :warum frag ich ihn das ?
Bambino schüttelte den Kopf und sofort war Karate Schrott. Schnee von gestern, was für Idioten. Hätte Bambino ja gesagt, wär Karate der Hammer gewesen. Diese Wirkung hatte Bambino: wo er war war vorne. Das war schon in den 80ern so gewesen. Darum hatte Fil Spucke2000 auch aufgelöst – er hatte es nicht mehr ausgehalten, sich ständig wie ein Vollhorst vorzukommen neben diesem Alpha. Der Alpha und der After waren sie doch stets gewesen. Ägyptologie hatte sich warm und weich angefühlt danach.
„Liest du also heute abend aus deinem Buch.“ lachte Bambino und sein Lachen verbrannte Fils Buch wie ein kanadischer Waldbrand. Nichts blieb mehr davon übrig, nicht mal Asche.
„Kannst ja vorbeikommen.“ schlug Fil vor.
„Kann leider nicht. Hab´n Gig mit den Pfotendosen im Universumstadion Grossweltheim.Ausverkauft.“
„Ja? Machst du das immer noch? Wird’s dir nicht langsam mal zu bunt, immer… dieselben Lieder und so?“
Bambino runzelte nur die Stirn und Fil sass noch blöder da als zuvor.
„Hast du mal wieder was von Milbe gehört?“fragte Fil.
Bambino wurde ernst wie nur Bambino ernst werden konnte: „ Milbe ist tot. Letztes Jahr. Leberzirrhose.“
Alles männliche Mitgefühl der Welt strahlte Bambino jetzt aus. Festlippig betonkinnig und anbetungswürdig sah er aus dem Fenster – im Himmel würde Milbe weinen vor Rührung über dieses Gesicht. Wie üblich hatte Bambino damit alles gesagt was zu sagen war, so dass für Fil nur noch Floskeln und hohle Phrasen übrig blieben.
„Echt? Oh wow. Schon letztes Jahr?… naja, wir hatten uns leider aus den Augen verloren.. die Leber,ja ? Shit, na, er hat schon damals ja viel getrunken,wir alle ja, mist, es erwischt immer die … andern, also, ich meine…“
Bambino schwieg und rührte kein Glied.
Ich könnte ihm auch sagen, wie sehr ich ihn hasse, da würde er genauso unbeweglich sitzen bleiben dachte Fil.
„Ich hasse dich.“ sagte er dann.
Bambino schaute authentisch überrascht. Typisch, ER hasste Fil natürlich nicht, er machte wie immer alles richtig.
„Ich hasse dich, Bambino. Ich habe dich immer gehasst. Wegen dir hab ich damals mit Ägyptologie angefangen und das war auch Scheisse. Weißt du überhaupt… ich meine, ist dir eigentlich klar, wie irritierend du auf andere wirkst, du sitzt da da wie so´n Arsch,ey…“
Bambino sah Fil direkt ins Gesicht. Fil verstummte und traute seinen Augen nicht: eine Träne, eine dicke einzelne Träne bildete sich in Bambinos rechtem Auge, perlengleich entstand sie da und rann dann langsam seine Wange hinab.
„Ich…“stammelte Fil und dachte: genau. Ich.Ich,ich,ich – mir geht´s die ganze Zeit nur um mich, ich bin wirklich der letzte Wixer. Bambino hat mir gar nichts getan, alles was er gemacht hat war, besser zu sein als ich und jetzt hab ich ihn verletzt,was bin ich bloss für ein Hyperarsch. Und – hallo ? MILBE IST TOT!! Wieso kann ICH da nicht weinen? Und wieso denk ich noch wieso kann ich nicht weinen, wieso wein ich nicht einfach und wenn ich schon nicht wein, wieso kann das nicht auch einfach okay sein?! Scheisse, ICH bin das Problem, nicht er.
„Bambino…“ sagte Fil, aber Bambino wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster. Er sah auf seine Stadt hinab. Auf Düsseldorf.
Fils total verrückte Lesereise mit Hindernissen
Kapitel 20
Düsseldorf. Ort der Vielfalt. Schreibtisch des Ruhrgebiets. Petit paris. Die Rauschende. Die lippische Rose. Die ripuarisch - limburgische Lotosblüte östlich der isch – ick – Grenze.. Doppelgeschwänzte blauankernde Löwin. Mutter.Hure .Kö –nigin. Doktor Trivago. Heimat von Doro, DAF und den D-Town- Chillaz.
Hier wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur Deutschlands erstes Hochhaus gebaut,sondern Ende der 40er auch noch Deutschlands erste HochGarage. Der Künstlerverein Malkasten hatte hier ebenso seinen Sitz wie der Deutsche Verband für Schweissen und verwandte Verfahren ( DVS) und die berüchtigte American Footballmannschaft Rhein Fire, die den Begriff „reinfeiern“geprägt hat, durch welchen Geburtstage eine völlig neue Wertigkeit in Deutschland bekommen sollten.
Rechts die Nordsee – links das schwarze Meer wo Partnerstadt Moskau auf mal einen Anruf wartete und wartete. Und wartete.
Die längsten Fussgängerampeln der Welt, die halbsten Hähne des Universums,nur drei kreisfreie Städte Deutschlands wiesen eine geringere Pro-Kopf – Verschuldung auf – bei den faulenden Knochen des heiligen Apolinaris: hier liess es sich leben! Hinter ihrer zur Schau getragenen Selbstverliebtheit verbargen die Düsseldorfer eine aufrichtige Freude an der Eigenheit und eine grosse Milz. Sonnenbeschienen spuckte man Gambaschalen aufs Wellenförmige Pflaster der Rhein – Uferpromenade und blinzelte rüber nach der Scheel Sig, wo Cologne vollgestopft mit Schatten, Schwulen und schlechten Drogen an Alcatraz erinnerte.
Düsseldorf – verdammt dazu,immer nur zu sein und niemals zu werden. „Kling Klang,du und ich“ summte die Stadt und irritierte Vendetta, die sich im Japanerviertel verlaufen hatte.
„Rheinische Fröhlichkeit“ war für sie etwas wie „italienische Gründlichkeit“ , etwas, wovor man Angst haben musste, etwas Grundfalsches, das die eigene Fälsche nicht sehen konnte und dadurch um so gefährlicher war. Noch suspekter als fröhliche Deutsche waren ihr aber Japaner. Diese fratzenhaften Roboter. Würden in der Zukunft alle Menschen so sein? Nicht, wenn sie es verhindern konnte.
„Kennen Sie das Zakk?“ fragte Vendetta einen Herrn im Anzug. Er machte das Gesicht für „angesprochen worden sein“, dann für „zuhören“ und schliesslich für „ angestrengt nachdenken“. Dann schüttelte er heftig den Kopf, verneigte sich, weinte, schlug mit dem Kopf gegen eine Mauer und grapschte nach ihrem Busen.
„Vielleicht kann ich mich an der Sonne orientieren“,dachte Vendetta, nachdem sie ihm mit dem Handballen die winzige Nase zertrümmert hatte,“ Oder an dem was hier als Sonne durchgeht“.
Es war diesig.Dann wurde es diesiger. Nebel kam auf. Dichter Nebel.
Vendetta fluchte leise und melodisch vor sich hin, als auf einmal wie aus dem Nichts ein hochgewachsener Mann Ende vierzig auftauchte. Er trug eine Art Lindy –Hop – Dreissigerjahre Outfit wie so viele Männer, die mit dem Älterwerden nicht klarkamen und wohl dachten, wenn sie sich altmodisch kleideten würden sie jünger wirken. Voll nicht übrigens. Dieser Typ hier sah einfach mal aus wie ein alter Spiesser aus der Weimarer Zeit. Seine Kravatte schien aus edler Seide zu sein – sie leuchtete quietschbunt, was einen unangenehmen Kontrast zu seinem quarkbleichem Gesicht mit dem widerwärtigen Hipsterscheitel ergab. Instinktiv machte Vendetta einen Schritt rückwärts. Dieser Retro – Idiot gefiel ihr nicht.
„Haben Sie sich verirrt?“ fragte er mit überraschend wohltönender Stimme.
„Ja,leider“, entgegnete sie,“Ich suche das Zakk,kennen Sie das ? So ´ne Art Kulturzentrum nehme ich an. Fchtenstrasse 40.“
„Die Fichtenstrasse kenne ich natürlich. Wenn Sie gestatten führe ich Sie dorthin.“ Obwohl seine Stimme freundlich klang wirkte sein Gesicht leblos. Besonders die Augen.
„Es reicht, wenn Sie mir die ungefähre Richtung sagen.“
„Aber das macht überhaupt keine Umstände, ich bringe Sie mit Freuden.Kommen Sie nur, es ist gar nicht so weit.“
Er drehte sich um und ging. Vendetta folgte ihm.
Eine Weile liefen sie so schweigend hintereinander durch den dichten Nebel.
Dann begann der Hagere zu singen: „A little girl has lost her way with hair of gold and eyes of grey. We lie beneath the autumn sky, my little golden girl and I. And she lies very still.“
Der Nebel wurde dichter und dichter. Vendettas Nackenhaare richteten sich auf.
„